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Gedanken zu Biodesign, von Julia Krayer

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Gedanken zu Biodesign

Biodesign – Was ist das überhaupt? Diese Frage bekomme ich oft gestellt, wenn ich anderen von meiner Arbeit erzähle. Ich beschäftige mich mit Materialentwicklung und Gestaltung auf Basis lebender Organismen, wie Bakterien oder Pilzen. Auf die gestellte Frage antworte ich meist damit, dass ich meine Arbeitsweise erkläre, eine Definition von „Biodesign“ ist dies allerdings nicht. Was ist aber Biodesign? Wo liegen die Wurzeln und was sind Unterschiede und Parallelen zur Bioart?

Als Ausgangspunkt für den Versuch einer Erklärung des Begriffes, ziehe ich das Buch „Biodesign –
nature/science/creativity“ von William Myers zu Rate. Im Titel zeigt sich schon das enge Verhältnis von Natur, Wissenschaft und Kreativität mit dem wir es hier zu tun haben. Im Buch stellt William Myers viele unterschiedliche Arbeiten aus dem Bereich vor, den er „Biodesign“ nennt. Allen gemein ist, dass sie sich mit lebender Materie beschäftigen. Dies können Pflanzen, Bakterien, Pilze  oder auch Zellen sein. Diese vorgestellten Arbeiten sind unterteilt in 4 Kapitel: „the architectual hybrid“, „ecological object engeneering“, „experimental functions“ und „dynamic beauty“. In „the architectual hybrid“ stellt Myers Projekte und Entwürfe aus der Architektur vor, welche lebende Strukturen und/oder ökologische Integration beinhalten. „Ecological object engeneering“ beschäftigt sich mit der Suche nach biobasierten Alternativen zu industriellen oder mechanischen Prozessen. Die Arbeiten in „experience functions“ sind visionär und beschäftigen sich oft mit der Lehre. Im vierten Kapitel „dynamic beauty“ geht es um die Ästhetik, welche durch die Arbeit mit und an lebenden Organismen neu erschaffen wird. Dieses Kapitel ist es auch, welches zeigt wie nah sich Biodesign und Bioart stehen. Unter anderem wird eine Arbeit von Eduardo Kac präsentiert,1 welcher sich seit den 90er Jahren mit Bioart beschäftigt und diesen Begriff stark geprägt hat.2 Er schreibt über Bioart: „„Das gemeinsame Element in all diesen Kunstwerken besteht darin, dass das Leben selbst zum Ausgangspunkt genommen wird, eher als seine Repräsentationen, seine Metaphern oder seine digitalen Simulationen. Alle diese Werke sind ,lebendige Objekte‘.“ 3 Alan Shapiro beschreibt in seinem Text „Philosophie, Science und Ökologie: Whitehead und Merleau-Ponty über den Begriff der Natur“ Bioart folgendenderweise: “…Dabei arbeiten die Künstler im Sinne der BioArt mit lebendigen Stoffen sowie Organismen, DNA-Kodes, Zellstrukturen und Bakterien. Mit ihren Kunstwerken kommentieren sie die Praxis des Klonens, der Genmanipulation sowie Genfood und die Medizinindustrie.“4 Dieses Aussagen über Bioart trifft in meinen Augen
auch auf Biodesign zu. Trotzdem sehe ich auch Unterschiede. So beschäftigt sich Bioart mit neuen Wegen in Ethik und Ästhetik, die durch die Verschmelzung von Technologie mit Natur durch Biologie und Biophysik erschaffen wird. Diese neuen Technologien werden dazu genutzt um ihnen selbst auf den Grund zu gehen und sie und ihre Wirkung auf die Gesellschaft aus dem Blick des Künstlers zu kommentieren und teils damit zu provozieren. Sie sind also vor allem selbst das Objekt und der Inhalt der Arbeit. Die Künstler wollen gleichzeitig die Möglichkeiten und die Folgen dieser neuen Biotechnologie ergründen. Im Biodesign geht es hingegen neben der Ästhetik auch stark um eine gezielte Nutzung von Natur. Dabei dient die Technik eher als Werkzeug und die Natur als Rohstoff um etwas Anderes zu erzeugen. Dabei geht Beiodesign noch einen Schritt weiter als der Bereich der Bionik, welcher Natur als Vorbild nutzt. Als Beispiel möchte ich die Werbung für den Film „Contagion“, in welchem es um eine Pandemie geht, anführen. Mit Hilfe von Bakterien ensteht hier ein großer Schriftzug „Contagion“, welcher in einer überdimensionierten Petrischale in Form eines Posters präsentiert wird.5 Die Technik des Vermehrens von Bakterien und die Bakterien selbst dienen hier also als Werkzeug für eine zielgerichtete Werbeaktion – also Biodesign. Im Bereich des Biodesign gibt es auch viele Arbeiten, welche eher auf einem „Low Tech“-Level einzuordnen sind. So benötige ich für meine eigene Arbeit mit Bakterien keine komplizierten Gerätschaften. Ein Topf und ein Herd reichen mir dabei schon. Es geht also weniger darum den neuen Bereich Biotechnologie in all seinen Möglichkeiten zu ergründen, sondern mit seiner Hilfe neue Wege in der Gestaltung von Produkten und Materialien zu gehen. Viele Designer sehen im Biodesign auch das Potential Natur zu nutzen um Natur zu schützen. So werden Pilzwerkstoffe als Alternative zu erdölbasierten Kunststoffen gesehen oder pigmenterzeugende Bakterien als neue Möglichkeit auf nachhaltige Art und Weise Farben herzustellen. Wir sehen, es gibt nicht DAS Biodesign, sondern unterschiedliche Bereiche, welche sich zwischen angewandter Materialforschung und futuristischen Konzepten des Körpers ebenso bewegt, wie zwischen Low und High Tech. Um dieses breite Spektrum verständlich zu machen, hilft es Unterkategorien zu bilden. Anhand des Buches „BIODESIGN“ würde ich folgende Begriffe wählen: Biotecture“: Architektur, welche mit lebenden Strukturen arbeitet und ihr ökologisches Umfeld integriert.

Biofabrication: Natur dient hier dazu industrielle und mechanische Prozesse neu zu erfinden und biobasierte Lösungrn für Herstellungsprozesse zu schaffen.

„Biofiction“: Hier sind es vor allem Konzepte und Visionen, in welchen zukünftige Möglichkeiten klar werden. Wie wird sich unser Leben verändern? Wie unser Körper?

„Bioaesthetics“: Durch neue Technologien in der Biologie, beziehungsweise der einfachere Zugang zu vorhandener Technik, sind Designern neue Wege offen, welche auch eine neue Ästhetik begründen. So werden beispielsweise gewachsene Strukturen weiter in Vordergrund rücken. Während einer Arbeit können sich verschiedene Unterpunkte natürlich überschneiden. Klar ist, dass in allen Arbeiten die Natur, beziehungsweise ihre aktive Nutzung, ja eher schon eine Zusammenarbeit mit ihr, im Mittelpunkt stehen. Doch was heißt dies für uns Menschen, für die Natur und für unser Verhältnis zueinander?

In der Einleitung zu ihrem Buch „Das technologische Herbarium“ schreibt Gianna Maria Gatti über dem Menschen im Zeitalter der Technologie: „Während der Mensch sich bewusst ist, dass er auf neue Technologien […] nicht mehr verzichten kann, ist ihm die Unersetzlichkeit der Pflanzen, ihr unverzichtbarer Beitrag zur Sicherung seiner Existenz weniger klar und er verdrängt sie häufig als Zierde und Beigabe in eine Randposition.“6 Was Gianna Maria Giatti über Pflanzen sagt, trifft umso mehr noch auf Bakterien und Pilze zu. Sie werden noch nicht ein Mal als Zierde und Beigabe benutzt, viel mehr ekeln sich die meisten Menschen bei dem Gedanken mit ihnen in Kontakt zu kommen. Biodesigner rücken diese lebenden Organismen, diese bisher vom Design unberührte Natur, nun aus dem Schatten in den Fokus ihrer Arbeiten, beginnen sie zu nutzen. Aber ist die Natur dann überhaupt noch Natur? Der Begriff „Natur“ weckt bei vielen Menschen Assoziationen an unberührte Landschaften, noch unangetastet vom Menschen. Man denk an Wälder, Wiesen, Meere, Seen, an Tiere, die dort kreuchen und fleuchen. Mikroorganismen werden in diesem Moment kaum bewusst Teil dieser Assoziation sein, sind jedoch untrennbar mit dieser Idee von Natur verbunden, finden wir sie doch in jedem Tropfen Wasser, an jedem Grashalm und selbst an Orten, an denen sonst kein anderes Lebewesen überleben kann. Dieses Bewusstsein fehlt den meisten Menschen jedoch. So empfinden wir Milch von hoch gezüchteten Kühen als natürliches Lebensmittel, während Zitronensäure, hergestellt von Mikroorganismen, als industrielles Produkt. Tatsache ist jedoch, dass Mikroorganismen teil dessen sind, was wir gemeinhin als Natur betrachten. Sie sind es, die uns überhaupt das Leben ermöglicht haben, waren es doch Mikroorganismen, welche unseren Planeten schon bevölkerten, als an Lebewesen mit Beinen, Hirnen und einem komplexen Verdauungs- und Nervensystem noch nicht zu denken war. Was macht es also mit unserem Verständnis von Natur, wenn wir diese Mikroorganismen nutzen? Maurice Merleau Ponty definiert den Begriff der Natur folgendermaßen: „Im Griechischen kommt das Wort für „Natur“ von dem Verb „phyho“, ein Wort, das auf das Pflanzliche anspielt. Das lateinische Wort kommt von nascor, geboren werden, leben; es ist vom ursprünglicheren grundlegenderen Sinn abgeleitet. Natur ist überall dort, wo es Leben gibt, das einen Sinn hat, wo es jedoch kein Denken gibt; daher die Verwandtschaft mit dem Pflanzlichen. Natur ist das, was einen Sinn hat, ohne dass dieser Sinn vom Denken gesetzt wurde. Es ist die Selbsthervorbringung eines Sinnes. Die Natur unterscheidet sich also von einem einfachen Ding; sie hat ein Inneres, bestimmt sich von Innen heraus; der Gegensatz von „natürlich“ und „akzidentiell“ kommt daher. Und dennoch unterscheidet sich die Natur vom Menschen; sie ist nicht von ihm eigerichtet, und dem Brauch, der Rede entgegengesetzt. Natur ist das Unanfängliche, das heißt das Nicht-Konstruierte, das Nicht-Gestiftete; daher die Idee einer Ewigkeit der Natur (ewige Wiederkehr), einer Dauerhaftigkeit. Die Natur ist ein rätselhafter Gegenstand, der nicht völlig Gegenstand ist; sie liegt nicht völlig vor uns. Sie ist unser Boden, nicht das, was vor uns liegt, sondern das, was uns trägt.“7 Die Natur ist das, was uns trägt, etwas, das wir nicht ganz verstehen, etwas, das aus sich selbst kommt. Der Mensch hat sich jedoch von der Natur entfernt. Dadurch, dass er mit Bildern versucht sie zu interpretieren, entfernt er sich von ihr und gleichzeitig versuchen wir sie zu kontrollieren, indem wir Ackerbau betreiben, Dämme bauen und an ihr herum experimentieren. Auch Biodesign bildet da keine Ausnahme. Biodesigner wollen Natur nutzen, sie sich zu eigen machen und sie kontrollieren um aus ihr und mit ihr gestalten zu können. Anders als Bioart, welche dem Verhältnis von Mensch, Natur und Technik auf den Grund gehen möchte. Gleichzeitig ist es aber auch die Faszination, dass sich Natur eben nicht hundertprozentig kontrollieren lässt. Pflanzen, Bakterien, Pilze und Zellen wachsen, ein Prozess, der aus sich heraus entsteht, den wir beeinflussen können, den wir aber nicht vollständig in der Hand haben. Eben etwas durch und durch natürliches. Vor allem, wenn nicht mit Mitteln der Gentechnik gearbeitet wird, sind es nur äußere Einflüsse, die Biodesigner verändern können. Sie sind also stets an das Verhalten der Organismen gebunden, mit denen sie arbeiten. Hieraus entsteht, was ich zuvor als „Bioaesthetics“ bezeichnet habe. Gewachsene Strukturen, welche nur zum Teil gesteuert werden können, stellen uns vor völlig neue Herausforderungen. Designer arbeiten mit der Natur Hand in Hand, erforschen sie, wollen sie kennen lernen. Man hört in Präsentationen oft Formulierungen, wie „unsere kleinen Freunde“, wenn es um die Mikroorganismen geht, mit denen gearbeitet wird. Natur und Mensch stehen sich gleichwertig gegenüber. Man nutzt, was die natürlichen Prozesse einem bieten, arbeitet damit und versucht gleichzeitig die Organismen am Leben zu erhalten. Es ist ein lebendiger Arbeitsprozess, auf beiden Seiten. Diese Sicht des Arbeitsverhältnis von Mensch und Natur wird gestützt von einer These Bruno Latours. Er sagt, dass Gesellschaft und Natur in der technowissenschaftlichen und gesellschaftlichen Praxis eng miteinander verwoben sind. In seiner Hybridtheorie stellt er unter anderem die statische Identität von Natur und Gesellschaft in Frage. Er geht davon aus, dass in einem Netzwerk, welches Wissenschaft und Gesellschaft beinhaltet, Interaktionen zwischen technischen Apparaten, organischem Material, Institutionen und wissenschaftlichen Akteuren stattfinden, in denen menschliche und nicht menschliche Phänomene einander gleichgestellt sind.8 Vielleicht ist es diese Gleichstellung, welche für ein Problem Heideggers einen möglichen Ausweg aufzeigen könnte. Er spricht von dem Wesen der Technik, vor allem im Bezug auf Biophysik. Davon, dass der Mensch unter einer Macht steht, die ihn heraus fordert und der gegenüber er nicht mehr frei ist.9 Sieht man sich in Forschungseinrichtungen um, so kann man ihn nachvollziehen. Viele Experimente und Entwicklungen beruhen alleine darauf, dass der Mensch in der Lage ist sie auszuführen. Die Technik bietet die Möglichkeiten und sie werden genutzt. Es wird nicht vorher nach einem möglichen Nutzen gefragt, sondern allein durch die Technik wird die Arbeitsweise gesteuert. Biodesigner gehen jedoch anders an ihre Arbeit heran. Sie sind selten studierte Biowissenschaftler und wissen daher oft gar nicht so richtig was sie da eigentlich tun, sondern eher warum. Meist gehen sie mit einem bestimmten Ziel an ihre Experimente heran. So weiß ich beispielsweise, dass bei der Herstellung von Kombuchatee eine lederartige Haut, Bakteriencellulose, entsteht. Ich weiß grob, dass dafür eine Symbiose aus verschiedenen Bakterien und Hefen verantwortlich ist. Was ich allerdings nicht weiß ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit Ergebnis X entsteht, wenn ich etwas an dieser Kultur verändere. An der Kultur selbst kann ich nicht einmal etwas verändern, dafür fehlen mir die technischen Mittel und das biologische Wissen. Es geht also vielmehr darum ein Ziel zu definieren, beispielsweise hellere oder festere Bakteriencellulose. In Experimenten verändere ich dann die äußeren Einflüsse um herauszufinden, wie die Kultur aus Mikroorganismen reagiert und nähere mich so nach und nach meinem Ziel an. Ich habe also nicht die Möglichkeit die Natur der Bakterien und Hefen direkt zu verändern, sondern muss mit ihren Gegebenheiten zusammen arbeiten, sie kennen lernen. Mensch, Technik und Natur arbeiten hier also Hand in Hand, sind nach Latour gleichgestellt.

1: vgl. William Myers, BIODESIGN, London, 2012 S. 196/197

2: http://www.ekac.org/transgenicindex.html Zuletzt aufgerufen: 17.01. 22:27

3: http://www.alan-shapiro.com/philosophie-science-und-okologie-whitehead-und-merleau-pontyuber-
den-begriff-der-natur-von-alan-n-shapiro/ Zuletzt aufgerufen: 17.01. 22:27

4: http://www.alan-shapiro.com/philosophie-science-und-okologie-whitehead-und-merleau-pontyuber-
den-begriff-der-natur-von-alan-n-shapiro/ Zuletzt aufgerufen: 17.01. 22:27

5 vgl. William Myers, BIODESIGN, London, 2012 S.146f

6 Gianna Maria Gatti, Das technologische Herbarium, Berlin, 2011 S. 25

7 M. Merleau-Ponty, Die Natur. Vorlesungen am Collège de France 1956-1960, München 2000, S.
19f

8 vgl Ingeborf Reichle, Kunst aus dem Labor.. S.9f

9 Martin Heidegger (“Im Denken unterwegs…”, Walter Rüdel 1975), Minute 37f

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