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“The owls are not what they seem”: Die kleine Stadt Twin Peaks und ihre Geheimnisse, von Elina Nikolaeva

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“The owls are not what they seem” Die kleine Stadt Twin Peaks und ihre Geheimnisse, von Elina Nikolaeva

Meine Lieblings-TV-Serie ist Twin Peaks, da ich beim Schauen nie wusste, was als nächstes kommt und wieso. Vielleicht kann man sich dadurch wieder kontrollieren, was wichtiger ist, was immer im Leben passiert, aber wir gar nicht gemerkt haben. So wird es in der Serie mit dem Bösen umgegangen, das im Alltag gar nicht gemerkt wird, aber auf einmal eine ganz besondere Rolle bekommt. Wie Georges Bataille sagt: „Eine aktive, zerstörerische, dämonische Kraft, die Begeisterung und Schrecken verbreitet und jedenfalls so außer aller Ordnung ist, dass Sie mit normalen Maßstäben nicht mehr zu messen ist.“ (Bergfleth, 2009, S.174). Ob das Thema des inneren Bösen auch in neuen Folgen vorkommt und ob es überhaupt noch aktuell ist? Ich warte ungeduldig und etwas ängstlich auf die Wiederkehr des David Lynch-Meisterwerks 2017.

Es ist schon lange her als ich die Serie gesehen habe. Nur einige Bilder sind im Gedächtnis geblieben: Agent Cooper und sein Kaffee, das rote Zimmer und vor allem das Gesicht der getöteten Laura Palmer deren Leiche aus Wasser geholt wurde. Die Schönheit und der Schreck zugleich. Man kann gar nicht wegschauen auch wenn die Brutalität dieser Szene jedem bewusst ist. Das kann sogar als Metapher der Serie betrachtet werden: das Böse wird durch friedliche Bilder der kleinen Stadt und schönen Wälder bedeckt. Das ist nicht das Böse das uns vom Schreck wegzuschauen zwingt. Das Böse ist in Twin Peaks transparent, entfaltet sich durch Geheimnisse der Einwohner.

Die der Stadt ist ein Riesentheater mit systematisch ausgesuchter Aussenszenografie der Natur, die eine surreale Stimmung bei den Zuschauer hervorruft. Simulakrum (Baudrillard, 1994) einer idyllischen amerikanischen Stadt, die es nirgendwo gibt, eine Art Disneyland für Erwachsenen. Dieses Bild hat Lynch schon in seinem früheren Film Blue Velvet dargestellt und entwickelt es in Twin Peaks weiter. Jeder in Twin Peaks kennt seine Rolle, spielt sie fleißig. Das Böse versteckt sich unter geputzten Kaffeetassen in der Bar, hinter den gemütlich beleuchteten Fenstern der Einwohner, an der Schneidemühle. Keiner will diese fragile Ordnung ändern, keiner will seine Geheimnisse den anderen verraten.

Wenn man die Innenszenografie der Wohnstätte der Figuren nach Baudrillards System der Objekte (Baudrillard, 1991) interpretiert, kann man auf die für die Serie komponierte einzigartige Kollektion der bizarren Gegenstände oder auf die merkwürdige Szenerie, die die Protagonisten durchgehend umfasst, auch von einem anderen Blickwinkel hinausschauen. Zugleich repräsentieren die Gegenstände (wie z.B. der Kronleuchter aus Hirschgeweih oder der Hirschkopf) die Nähe und das Eindringen der wilden Natur in die Räume der Hauptfiguren, von anderen Seite decken sie somit die wahren Gesichte, d.h. die Innenwelt, mancher Nebenfiguren in ihren Wohnungen auf. Oft sind diese Gegenstände bei Lynch im Vordergrund und symbolisieren dann meist wichtige Handlungswendungen. Manchmal werden die aber ohne jegliche Bedeutung exklusiv als das Aufsehen erregende Kunstobjekte gezeigt.

twinpeaks

Abbildung 1. Kronleuchter aus Hirschgeweih auf der Decke.

Twin Peaks stellt ein geschlossenes System dar, und „auf der Ebene des Gesamtprozesses, den wir ausgelöst haben und der von nun an ohne uns mit der Unbarmherzigkeit einer Naturkatastrophe abläuft, regiert zu unserem Glück oder Unglück die Untrennbarkeit von Gut und Böse und damit die Unmöglichkeit, das eine ohne das andere zu befördern.” (Baudrillard, 1992, Seite 120f., 98)

Bis in dieser simulierten Welt ein echtes Ereignis passiert: der Mord von Laura Palmer. Am besten würde man sie begraben und nie wieder darüber reden. Aber der Fremde kommt in die Stadt, um die fragile Ordnung der scheinbar idyllischen Stadt auf Probe zu stellen. Der Fremde – Agent Dale Cooper (gespielt von Kyle MacLachlan) – ist neben Laura Palmer die zentrale Figur der Serie.

Im selben Jahr wie die Serie (1990) erscheint auch das Buch von Baudrillard „Die Transparenz des Bösen“. Vom Anfang an als ich die Serie gesehen habe, war es für mich klar dass die Antwort auf die Frage „Who killed Laura Palmer?“ für David Lynch eigentlich nicht so wichtig ist. Es geht nicht um eine Krimigeschichte, sondern viel mehr um die Geheimnisse der Stadt und der Wälder selbst, so dass der Mord nur zum Anlass den Fremden in das Ökosystem reinzulassen wird, wo das halb drohende halb verblüffende Leitmotiv der Serie durchgehend wiederholt wird: „The owls are not what they seem.“

Quellenverzeichnis:

Bergfleth, 2009: Gerd Bergfleth Die Souveränität des Bösen in: Bataille, Georges. Die Literatur und das Böse, Übersetzer: Cornelia Langendorf; Matthes & Seitz Berlin; 2., Aufl., 262 Seiten, Dezember 2009.

Baudrillard, 1991: Baudrillard, Jean. “Das System der Dinge.” Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen, 1991.

Baudrillard, 1992: Baudrillard, Jean. Transparenz des Bösen: ein Essay über extreme Phänomene. Aus dem Französischen von Michaela Ott. Merve-Verlag, Berlin 1992.

Baudrillard, 1994: Baudrillard, Jean. Simulacra and simulation. University of Michigan press, 1994.

Abbildungen:

Abbildung 1: http://kvartblog.ru/blog/interer-iz-seriala-tvin-piks https://stagingrensite.s3.amazonaws.com/system/post_images/RackMultipart20151001-12534-1vjqb7.jpg

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