Alan N. Shapiro, Hypermodernism, Hyperreality, Posthumanism

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A New Computer Science is Underway: Alan N. Shapiro interviewed by Anja Wiesinger

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A New Computer Science is Underway: Alan N. Shapiro interviewed by Anja Wiesinger

published in the Berlin fashion print magazine , Fall 2010 (in German and English)

American philosopher and veteran software engineer Alan Shapiro reflects on computer science in relation to the history of ideas it originated from.

During a recent visit to Berlin, Shapiro met up with META to share his vision of a pragmatic-utopian enterprise project which operates on friendship and radical program code.

Wir arbeiten 40 Stunden die Woche. Als primitiv und barbarisch würde das einer höher entwickelten Zivilisation vorkommen, behauptet Alan Shapiro. Der amerikanische Philosoph und Software-Ingenieur plädiert für eine neue, utopisch-pragmatische Arbeitsethik aus kreativen Spiel und individueller Freiheit. Er sinnt über Denker und Informatik, McDonaldisierung und Disneylandifizierung, das Klonen von Wissenschaftlern, den Feminismus in “Star Trek” und warum wir von Tänzern lernen können.

Sie sagten einmal, dass Sie als Amerikaner Ihre Ideen durch die Gründung eines Unternehmens verfolgen würden. Auf der anderen Seite kritisieren Sie an der amerikanischen Kultur den großen Stellenwert, der dem Geld eingeräumt wird und den egoistischen Individualismus, der sich aus der kapitalisticschen Gesellschaft ergibt. Für mich ist das ein Widerspruch.

Alan Shapiro: Das ist quantenphysische Soziologie, eine doppelte Realität, kein Widerspruch. Wir werden die Welt nicht mit einer kommunistichen Partei oder einem anarchistischen Sturm auf die Barrikaden ändern, deshalb schlage ich eine neue Interpretation des Marxismus vor. Organ des Wandels wäre eine Art Apple oder Google, radikalisiert durch Kunst, Philosophie und kritische Sozialtheorie. Wäre solch ein pragmatisch-utopisches Unternehmen in Amerika tätig, würde es die Verbindung mit all den wunderbaren amerikanischen Dingen suchen, über die ich schreibe: Baseball, der Wüste, dem Glücksspiel in Las Vegas, Fast Food, nach dem man sich die Finger leckt, Schnappschüssen von den Niagarafällen, Autofahren im semiotischen Brachland des Goldenen Kalbs, Neongöttern, mit Einkaufsmeilen, Parkplätzen, Wal-Marts, der Hitzewelle, Fahrten im Greyhound-Bus – alles verstanden und beschrieben in einer ganz bestimmten Art und Weise – das ist die positive Seite Amerikas.

AS: Die beiden grundlegenden Prinzipien des radikalen pragmatisch-utopischen High-Tech-Unternehmens sollten Freundschaft und Nicht-Arbeiten sein. Es gibt hundert unterschiedliche Arten von Freundschaft, und so kann man noch nicht genau sagen, was das bedeuten wird. Man wird damit experimentieren müssen und es in der Praxis herausfinden. Die Einstellung gegen die Arbeit wie sie sich heute darstellt, ist von fundamentaler Bedeutung. An unserer Arbeitssucht und unserer strukturellen Unfähigkeit, Künstlern und anderen Kreativen ein angemessenes Leben zu ermöglichen, ist etwas grundlegend falsch. Doch ich meine ganz sicher nicht, dass wir überhaupt nicht mehr arbeiten sollen. Wir sollten Arbeit und Vergnügen auf neue Art miteinander verknüpfen, viele Menschen tun das bereits. Ich selbst arbeite ziemlich hart.

AS: Es wäre also ganz anders als unser Business-as-usual. Sicher ist das eine weit hergeholte utopische Vision. Doch zugleich scheint sie historisch möglich zu sein. Die Chancen, dass sie sich verwirklicht, stehen – so hat es mir Mr. Spock jüngst berichtet – bei exakt 1 zu 7.643. Aber die Mets haben ja auch 1969 die World Series gewonnen.

META: Sie plädieren für eine Arbeitsethik, die an den ersten New-Media-Boom der 1990er erinnert. Zehn Jahre nach dem Crash der digitalen Technologien kündigen Sie die nächste Welle an. Was wird anders sein als früher?

AS: Nein, das habe ich nicht über die Arbeitsethik gesagt. Bei allem forschrittlichen Denken und Tun in bestimmten Gebieten hat kein größeres Technologieunternehmen je die protestantische Arbeitsethik in Frage gestellt, die unserem kulturellen und wirtschaftlichen System zugrunde liegt. Seitdem ich ernsthaft Karl Marx, Max Weber und Jean-Paul Sartre gelesen habe, scheint mir die Rolle desjenigen zuzufallen, der sie in Frage stellt. Fast jedes Unternehmen auf der Welt zwingt heute seine Angestellten dazu, weit über 40 Stunden pro Woche zu arbeiten. Die höher entwickelten fremden Zivilisationen, auf die Captain Kirk oder Captain Picards Enterprise treffen, wrden das als primitiv und barbarisch bezeichnen.AS: Weil in den Bereichen der neuen Medien und neuen Technologien die Kreativität eine entscheidende Rolle spielt, glaube ich, dass die Unternehmen hier einen völlig anderen Ansatz verfolgen könnten: Qualität statt Quantität, Kreativität, Spiel, individuelle Freiheit und eine Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten könnten auf eine ganz neue Art und Weise mit der Produktivität in Bezug gesetzt werden, stat davon auszugehen, dass diese nur durch Schufterei erreicht werden kann. Auch meine Perspektive der virtuellen Realität als Traumwelt zu betrachten, in der man der konventionellen physischen, körperlichen und raum-zeitlichen Realität entfliehen konnte. Nun können wir mit einem anderen Ansatz experimentieren, dem der Verkörperung. Das ist einer der Gründe für mein großes Interesse an der sozialen Choreografie, deshalb denke ich, dass Tänzer und Sportler wichtig sind für unser neues Verständnis des Virtuell-Realen. Virtuelle Technologien sollten die Realität verbessern – nicht sie ersetzen oder zur Flucht aus ihr dienen. Wir wollen keine Konsumgesellschaft von Couch-Potatoes.META: In Ihrem Essay “Cultural Citizenship in Contemporary America”, sprechen Sie über das Überflussparadoxon. Sehr verkürzt dargestellt beeinträchtigt dies die Zufriedenheit des Individuums in der Gesellschaft. Soziale Erfolge verlieren ihren Wert, sobald zu viele Menschen dieselbe Erfahrung machen. Was wollen Sie uns damit sagen? Wenn man das Konzept auf das Gebiet der Technologie überträgt, ist es dann nicht eine Frage der Skalierbarkeit? Je komplexer ein System, desto gewaltiger die Gefahr, dass es zu Schäden kommt…

 

AS: Ich habe das “Überflussparadoxon” von Ökonom Fred Hirsch übernommen, er führt es in seinem Buch Die sozialen Grenzen des Wachstums aus. Dabei geht es um die sozialen oder durch die Umwelt bestimmten “Nutzungsbedingungen” aller Dinge oder Erfahrungen, die die Menschen begehren. Je mehr Menschen eine gewisse Ebene an beruflicher oder fachlicher Bildung erreichen, desto weniger Wert hat diese Bildung im Wettstreit um Arbeitsplätze. Je mehr Menschen Häuser in den Vororten kaufen, desto stärker verändern sich diese Vororte und weisen allmählich alle aus den Städten bekannten Probleme und Schandflecken auf. Die “Nutzungsbedingungen” verschlechtern sich, je weiter verbreitet die Nutzung ist. Die Suche nach kultureller Staatsbürgerschaft (Cultural Citizenship) hat Grenzen und fließt in die Paradoxa der übermäßigen Nutzung ein.

AS: Wirtschaftswachstum ist wünschenswert. Wir müssen herausfinden, wie wir nachhaltiges Wachstum ermöglichen können, ohne den Planeten und uns selbst zu zerstören. Es ärgert mich, wenn Sozialkritiker und grüne Fundamentalisten sagen, sie seien gegen Wachstum. Das ist zu negativ. Ich bin gegen Wirtschaftswachstum in der Art und Weise, in der es heute gedankenlos in der herrschenden Variante des monopolistischen Kapitalismus praktiziert wird.

AS: Was die Bedeutung und Herausforderungen der Skalierbarkeit angeht, haben Sie Recht. Dabei vollziehen wir den Schritt vom Nachdenken über das Problem der Überflussparadoxons zum Nachdenken über die Lösung. Wir hatten eine aristokratische Klasse von Müßiggängern, dann versuchten wir, den Wohlstand auf die Massen zu übertragen und endeten mit der McDonaldisierung und Disneylandifizierung der gesamten Gesellschaft. Die Frage ist also: Wie erreichen wir eine Massenkultur des Wohlstands, die nicht so verdummt ist wie die, die wir bisher geschaffen haben? Ein Aspekt der Suche nach einer Antwort ist paradoxerweise der, dass wir herausfinden sollten, was an McDonald’s und Disneyland positiv ist. Wir sollten sie nicht so schnell verdammen.

META: Welchen Ansatz verfolgen Sie für eine neue Informatik?

AS: Ich habe an der Cornell University Ideengeschichte studiert. Dieses Studium ist die Basis meiner Bildung. Danach war ich 15 Jahre lang als Software-Entwickler tätig. Denn dachte ich über die Informatik im Kontext der Ideengeschichte nach und kam zu dem Schluss, dass die Informatik bisher keine über die des 17. Jahrhunderts hinausgehenden Ideen in Betracht zieht. Die sogenannte Wissenschaft der Informatik ist noch keine Wissenschaft. Bisher ist sie nur eine Computertechnik. Sie basiert auf der Philosophie und den wissenschaftlicen Methoden des 17. Jahrhunderts.

AS: Um aus den eigenen Ressourcen schöpfen zu können, erfolgt die Arbeit an der neuen Informatik in zwei Dimensionen. Eine Dimension ist das Code-Schreiben. Die andere Dimension ist das Projekt des umfassenden Überdenkens des gesamten Klassifizierungssystems oder der Wissenskategorien des Westens (beginnend mit der Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften). In der modernen akademisch-universitären Szene ist viel von Interdisziplinarität die Rede. Doch in einer wichtigen Hinsicht ist die Interdisziplinarität Heuchelei. Wenn die Katergorisierung des Wissens so obsolet ist, das angeblich interdisziplinarität erforderlich wird, dann ist in Wirklichkeit eine komplette Neuerfindung angemessener Wissenskategorien notwendig. Wenn wir, um wertvolles Wissen zu erlangen, mehrere Fachgebiete abdecken müssen, zeigt dies nur, dass wir in Wirklichkeit ein Großprojekt brauchen, um zu überdenken, in welche Kategorien das Wissen aufgeteilt werden sollte.

AS: Ziel der Arbeit der “interdisziplinären” Dimension der neuen Informatik ist es, den Weg festzulegen, den wir gehen werden, und der zur Erfindung der neuen frölichen Wissenschaft führt (Nietzsche).

© Copyright Alexis Clancy, 2009

META: Sie sagen, dass der Programmcode von heute immer noch den Traditionen der frühen modernen Mathematik folgt. Beziehen Sie sich auf Descartes?

AS: Was wir im Moment schon sagen können, ist, dass die neue Informatik eng, mit Kunst, Literatur, Psychologie, Musik, Tanz, Ökologie, Theologie, Mathematik, Quantenphysik, Geschichte und Grammatologie verknüpft sein wird. Der Beruf des Programmierers sollte von Grund auf neu definiert werden und diese Felder umfassen. Wir interessieren uns Insbesondere für die ästhetischen und soziologischen Dimensionen der Software. Und wir werden einen ganz neuen Ansatz wählen. Einen novel approach im wahrsten Sinne des Wortes (novel bedeutet im Englischen sowohl “neu” als auch “Roman”). Literatur und Leistung wird in der Neuinterpretation des Wissens, und im Softwarecode, eine wichtige Rolle zukommen.

AS: Und so bietet die neue Informatik, die auf der Grundlage der neuen Mathematik des 20. Jahrhunderts realisiert werden muss, eine alternative Antwort auf die Frage, wie wir mit dem Problem der Komplexität umgehen.

AS: Im bestehenden Computer-Paradigma werden komplexere Probleme in kleinere, besser zu lösende Teilstücke aufgebrochen. Das ist im Grunde die kartesische Methode von Descartes. Doch obgleich die kartesische Methode für mechanische System funktionieren mag, kann sie nicht von großem Nutzen sein, wenn wir etwas Lebendiges schaffen möchten.

AS: Unser Ziel für die neue Informatik ist es, ähnlich wie in der Bewegung für künstliches Leben (Artificial Life), Software als halb-legendige Einheiten zu schaffen.

AS: Es wird Analogien oder Ähnlichkeiten zwischen der Software-Instanz und den Softwarekursen geben, in denen durch Baupläne die Grandlagen dafür bereitgestellt werden, was die Instanz kann. Die höchstrangige Analogie ist die Idee, dass die Software-Instanz eine Wahl hat, eine existenzialistische Freiheit, statt durch die in Vorlagen verfügbare Attribute und Daten bestimmt zu werden. Die Wahl wird durch die Unvollständigkeit eröffnet. Die Unvollständigkeit wird durch die Wahl eröffnet. Das ist es, was Alexis Clancy gesehen hat: ein göttliches Muster, durch die wahrnehmenden Medien wahrgenommen und als Textualität bekannt. Wir werden mit der Unvollständigkeit beginnen! Alexis und ich haben schon 22 konkrete Softwareentwicklungsprojekte definiert.

META: Und indem wir Objekten, sozialen und technischen, die Wahlfreiheit lassen, entkommen diese rationalen Objekte der Logik der verdummten, passiven Konsumgesellschaft. Denken Sie, dass in dieser doppelten Bewegung eine emanzipative Kraft liegt?

AS: Ja, natürlich denke ich, dass die platonische-dekonstruktivistiche Hybridität, die ich in “Society of the Instance” beschreibe, eine emanzipatorische Bewegung ist. Sie ist die Struktur der heutigen Ware-Form (commodity form) selbst und ihrer Umkehrbarkeit. Dies ist der Weg zur Wieder-Verzauberung (re-enchantment) der Welt, zum Rückgängigmachen der Entzauberung (disenchantment), der Bürokratisierung und dem eisernen Käfig der Rationalisierung, über die Max Weber gesprochen hat.

META: Wie stehen Sie zu technischen Implantaten und Klonen?

AS: Ich bin stark von der Cyborg-Theorie von Donna Haraway beeinflusst, einer feministischen Theorie. Wie in Star Trek muss das Leben keine biologische Grundlage haben, Ich habe keinerlei Probleme damit, technische Implantate in meinen Körper einpflanzen zu lassen, so lange diese wirklich für mich als Individuum hergestellt werden und ich nicht dasselbe Gerät bekomme wie zehn Millionen andere Menschen.

AS: Ob ich für das Klonen bin? Das hängt davon ab, wer geklont wird. Bevor wir uns aber der Frage des biologischen Klonens widmen, müssen wir uns mit dem kulturellen Klonen befassen.

AS: In Amerika haben die meisten Menschen das Ziel, so zu sein wie alle anderen. Sie möchten ein kultureller Klon sein, der auf einer Reihe von Modellen, Codes und Formeln basiert. Lassen Sie uns zunächst klarstellen, dass wir in einer Gesellschaft des kulturellen Klonens leben, bevor wir über das biologische Klonens sprechen. Ich bin absolut für das biologische Klonen, wenn die Menschen, die wir klonen, echte Individuen sind. Ich würde große Künstler, Wissenschaftler und Autoren klonen, die in ihrem Dasein eine wirklich wichtigen und wertvollen Wissens- und Erfahrungsschatz gesammelt haben. So können die Lebensprojekte dieser Individuen fortgeführt werden, selbst wenn sie Krebs haben oder etwas ähnliches.

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