Alan N. Shapiro, Hypermodernism, Hyperreality, Posthumanism

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“Black Mirror” und die Philosophie, von Vivianne Pärli

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Was habe ich gelernt? Grundsätzlich, dass Alan mit seiner These, man könne heutzutage durch Fernsehserien etwas über Philosophie lernen, Recht hat.

Mir war dieser Zusammenhang vorher nie wirklich klar.

Besonders deutlich wird dies in der Serie „Black Mirror“ von dem britischen Satiriker und Journalisten Charlie Brooker. Die erste Staffel wurde erstmalig im Dezember 2011 im britischen Fernsehen ausgestrahlt.

Auf die Frage, ob er mit seiner Serie die Technologie (neuen Komminaktionsmittel social media) schlecht dastehen lassen wolle erwiderte er: „The series doesn’t answer the question whether technology is a good or a bad thing, really. Obviously we come to some bleak conclusions but most of the episodes its not the technology that’s the problem but the way people are responding to it. […] this is not a sinister government scheme, this is something people have done to themselves.“1 .

Gegenüber „The Guardian“ beschreibte Brooker die Serie folgendermaßen: „If technology is a drug – and it does feel like a drug – then what, precisely, are the side-effects? This area – between delight and discomfort – is where Black Mirror is set.“2.

Dieses Statement zeigt, dass für mich der Übergang von MEDIA zu PHILOSOPHIE gewissermaßen durch die Metapher der süchtigmachenden Substanz, der Droge Technologie erfolgt ist. So habe ich schon in meinem MEDIA Essay Sherry Turkle zitiert, welche in ihrem Buch „Alone Toghether“ schreibt: „It is, of course, tempting to talk about all of this in terms of addiction.[…]The addiction metaphor fits a common experience: the more time spent online, the more one wants to spend time online. […]To combat addiction, you have to discard the addicting substance. But we are not going to “get rid” of the Internet. We will not go “cold turkey” or forbid cell phones to our children. […] I believe we will find new paths toward each other, but considering ourselves victims of a bad substance is not a good first step. The idea of addiction, with its one solution we know we won’t take, makes us feel hopeless. We have to find a way to live with seductive technology and make it work to our purposes. This is hard and will take work. “3… Das heißt, diese Fragestellung nach den Nebeneffekten/Auswirkungen der Droge Technologie auf unsere Gesellschaft, – auf unser menschliches Miteinander ist eine philosophische.

Die Folge „White Bear” aus der zweiten Staffel von „Black Mirror” spielt in unserer Zeit (frühes 21. Jahrhundert) und stellt eine personalisierte Art der Bestrafung durch hochentwickelte Gehirnwäsche dar.

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, sie in Bezug zu Michel Foucaults „Überwachen und Strafen” zu setzen, um das Phänomen Strafe/Bestrafung und seine Ausprägung am Beispiel dieser Episode philosophisch zu beleuchten. In seinem Buch von 1975 beschreibt Foucault die Entwicklung der Strafe des Verbrechers durch eine Justiz. Die Entwicklung von der Marter bis zum allüberwachten Tagesablauf in modernen Gefängnissen wird detailliert aufgezeigt.

Besonders interessant finde ich die veränderte „Betonung” der Strafe. Foucault beschreibt diese Veränderung wie folgt: „Die Milderung der Strafsrenge im Laufe der letzen Jarhunderte ist ein Phänomen, das den Rechtshistorikern wohlbekannt ist. Aber lange Zeit wurde es global als ein quantitatives Phänomen betrachtet: weniger Grausamkeit, weniger Leiden, mehr Milde, mehr Respekt, mehr »Menschlichkeit«. In Wirklichkeit hat sich hinter diesen Veränderungen eine Verschiebung im Ziel der Strafoperation vollzogen. Es handelt sich nicht so sehr um eine Intentsitätsmilderung als vielmehr um eine Zieländerung.

Wenn sich das Strafsystem in seinen strengsten Formen nicht mehr an den Körper wendet, worauf richtet es dann seinen Zugriff? Die Antwort der Theoretiker – jener, die um 1760 eine bis heute nicht abgeschlossene Periode eröffnen – ist einfach, fast banal. […] Da es nicht mehr der Körper ist, ist es die Seele. Der Sühne, die dem Körper rasende Schmerzen zufügt, muß eine Strafe folgen, die in der Tiefe auf das Herz, das Denken, den Willen, die Anlagen wirkt.”4 .

Dennoch ist der Körper nie ganz unbeteiligt, bildet er doch die Hülle der Seele. Eine reine Bestrafung des Körperlosen scheint nicht möglich.

Im Verhältnis zu Zeiten allerdings, in denen Menschen öffentlich gevierteilt wurden oder gehängt oder geköpft (die Liste scheint endlos) erscheint eine Gefängnisstrafe (zumindest in den meisten westlich- zivilisierten Ländern) fast sanftmütig.

Worauf ich anspiele ist ein “Postulat, das niemals wirklich aufgehoben wurde: es ist gerecht, dass ein Verurteilter mehr leidet als die anderen Menschen. Die Strafe läßt sich kaum von dem Zusatz körperlichen Schmerzes ablösen. […] Es bleibt also ein „peinlicher” Rest in den modernen Mechanismen der Kriminaljustiz – ein Rest, der nicht ganz überwunden wird, der aber immer mehr in ein Strafsystem des Körperlosen integriert wird.”5.

Nicht zu unterschätzen ist der gesellschaftliche Aspekt, den öffentliche Hinrichtungen und Folterungen ausgemacht hat – und teilweise z. B. in den U.S.A. noch immer ausmacht.

In Charlie Brookers „White Bear” wird dies auf dramatische Weise überspitzt dargestellt: die Öffentlichkeit der Strafe rückt in den Vordergrund. Eine Frau, die gemeinsam mit ihrem Verlobten ein kleines Mädchen entführt und ihre Ermordung durch den Verlobten gefilmt hat, wurde zu einer „verhähltnismäßgen und angemessenen” Strafe verurteilt: jeden Morgen erwacht sie, nicht wissend wer und wo sie ist. Sie wird von einer Gruppe Menschen gejagt während Passanten sie mit ihren Smartphones filmen und fotografieren ohne auf ihre Hilferufe zu reagieren. Die Strafe ist in sofern „verhältnismäßig”, als dass ihr genau das angetan wird, was sie dem kleinen Mädchen angetan hat.

Gegen Abend wird ihr offenbahrt, wer sie wirklich ist, woraufhin sie fleht, umgebracht zu werden. Erst im Abspann der Episode erschließt sich dem Betrachter sowohl, dass er Zeuge eines inszenierten Strafmechanismus wurde als auch, worum es sich bei diesem Ort handelt:

„White Bear Justice Park”: Menschen bezahlen Eintritt um „live” dabei zu sein wie die Verurteilte Tag für Tag bestraft wird nachdem ihr Erinnerungsvermögen täglich aufs Neue ausgelöscht wird.

In den Regeln, die das Personal den Besuchern erklärt wird deutlich, wo der Fokus liegt: in der Unterhaltung der Besucher. Neben ein paar Verhaltensregeln gibt der Moderator die wichtigste „Regel” bekannt: „Enjoy yourself. That’s probably the most important rule of all, OK? Take lots of photographs, run around through the woods, but try and stay safe. We’ll be keeping an eye on you, making sure you’re all OK. So get out there, enjoy yourselves and let’s make this show happen, people! Come on!”. Der Aspekt der Abschreckung und Einflößung von Respekt vor der Justiz (wie es früher der Fall war) scheint im „Justice Park” keine Rolle zu spielen.

Die Situation der Protagonistin erinnert gewissermaßen auch an Jeremy Benthams Panopticon. Es ist allerdings ein „umgekehrtes” Panopticon. Nicht ein Mensch beobachtet viele, sonder viele beobachten einen Menschen.

Man kann auch sagen, dass diese Art von Strafe ein hypermodernes Panopticon ist, da die „Besucher” den Sträfling die ganze Zeit filmen. Diese Art der Bestrafung gezeigt wird wäre ohne die Technologie der Smartphones nie möglich.

Andererseits sind auch Vergleiche mit den Strafenmethoden bis zum Ende des 18. Jahrhundert möglich: die Verurteilten wurden öffentlich gedemütigt und die Bürger haben Genugtuung und eine seltsame Art von Rache dabei empfunden, wenn sie einen Kriminellen beschimpfen durften. Dieser Effekt tritt auch im „White Bear Justice Park” auf: die Protagonistin wird den Schmähungen und Beschimpfungen des „Mob” öffentlich ausgesetzt (vgl. Michel Foucault „Strafe und Überwachen” S.76ff. ).

In der Unterhaltungsgesellschaft in der wir zur Zeit leben, in der es TV Serien wie „Takeshi’s Castle” oder auch stundenlange „Fail Compilations” gibt, die dazu dienen Vergnügen aus dem Schmerz und den Mißgeschicken anderer zu ziehen, scheint eine Bestrafung wie sie uns in „White Bear” vor Augen wird gar nicht so realitätsfern.

Bemerkenswert ist, dass Wissenschaftler daran arbeiten, das Gedächtnis zu verändern und bereits erste Erfolge verzeichnen können: ein Team der University of California San Diego hat Erinnerungen im Gerhirn einer Ratte erzeugt und sie anschließend wieder gelöscht indem sie die Synapsen zwischen den Nervenzellen auf unterschiedlichen Frequenzen stimuliert haben.

Dies geschieht momentan, um in Zukunft Methoden der Heilung von z.B. Alzheimer zu entwickeln.6 Eigentlich etwas, was Hoffnung machen sollte. Doch ich erinnere an Charlie Brookers Worte „It’s not the technology that’s the problem but the way people are responding to it.“. Es kommt eben darauf an, wie etwas genutzt wird. Wenn man die unterschiedlichen Faktoren – Unterhaltungsgesellschaft, Smartphonetechnologie, Forschung- zusammenzählt könnte man es als eine nahe Realität sehen, dass Mechanismen geschaffen werden, in denen Menschen ähnlich wie in „White Bear” bestraft werden. Das ist erschreckend, doch wenn man bedenkt, wie wir von den Medien manipuliert und gesteuert werden (oder es zumindest versucht wird) auch nicht verwunderlich. Was könnte man sich aus diesen Erkenntnissen zur Aufgabe machen? Aufzuklären als die Menschen, die sich dieser Zusammenhänge bewusst sind. Als Künstler mit dem jeweiligen Medium die Menschen zu erreichen die sich dieser Zusammenhängen noch nicht bewusst sind.

1 Charlie Brooker im „Black Mirror”DVD Extra”

2 Charlie Brooker Wikipedia-Eintrag (https://en.wikipedia.org/wiki/Charlie_Brooker)

3 Sherry Turkle Alone Together S. 242 (2011 Basic Books)

4 Michel Foucault Überwachen und Strafen S. 25 (Suhrkamp Taschenbuch Verlag Erste Auflage 1994)

5 Michel Foucault ibid.

6 Eric Niler: Erasing (And Restoring) the Brain’s Memories (http://news.discovery.com/human/erasingand-
restoring-the-brains-memories-140601.htm)

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