Die Philosophie ist wörtlich die „Liebe zur Weisheit“ und versucht den Menschen und seine Welt zu ergründen. Warum sollte es für den Gestalter heute wichtig sein, sich mit ihren Themen auseinander zu setzen und ihre Fragestellungen zu verfolgen? Viele halten die Fragestellungen der Philosophie für Weltfremd. Einige Beiträge und Theorien wirken tatsächlich zunächst so abstrakt, dass es schwierig ist eine direkte Übertragung auf den Alltag zu erwirken. Dennoch ist es von großer Bedeutung für einen Gestalter, der seinen Beruf in einer sinnvollen und relevanten Weise ausüben möchte, sich mit den Zusammenhängen der Sozialstruktur der Gesellschaft auseinander zu setzen und zu versuchen sich eine fundierte Meinung in Bezug auf die hier gestellten Fragen zu bilden. Viele der Grundfragen der Philosophie sind von tiefgreifender Bedeutung für die Sicht auf das Leben. Es wird unter anderem die Kreativität, die Freiheit, die Macht, die Politik und die Ethik untersucht, aber ebenso das Böse und was überhaupt „das Denken“ ist. Auch die Bedeutung des Lebens zu entschlüsseln und dem Mensch seine angestammte Position im Universum zu geben, versucht die Philosophie und das ohne religiöse Vorentscheidungen.
Die Philosophie fragt somit nach dem Wesen der Dinge. Daher liegt ihre Bedeutung für den Menschen in dem Ziel, sich selbst und die eigene Rolle besser zu verstehen. Das ist gerade auch für den Gestalter von Bedeutung, denn es stellt sich die Frage, welche Rolle er in der heutigen Zeit einnimmt, in einer Zeit, die zunehmend komplexer zu werden und in der das Design zunehmend mehr Aufmerksamkeit zu bekommen scheint. Darüber hinaus kann es nicht nur von Bedeutung sein die Rolle zu definieren, sondern auch den richtigen Umgang mit ihr. Hier wird die ethische Frage nach dem richtigen Handeln aufgeworfen, welche der großen kreativen Freiheit und ihrer Gefahren gegenübersteht.
Was ist also der Gestalter? Wie soll er mit seiner Rolle umgehen und wie kann die Philosophie helfen eine Antwort auf diese Frage zu finden?1
Bereits Platon hat sich in seinen Schriften zum Staat zur Rolle des gestaltformenden Künstlers geäußert. Er stellt die Frage, wie die Repräsentation in der Kunst mit der Wahrheit zusammenhängt. Hier wird bereits seine Hauptthese angedeutet, welche lautet, dass das Verhältnis von Kunst zur Wahrheit fragwürdig sei. Platon hält die Kunst für Mimesis, für eine Kopie und einfache Repräsentation, welcher zwei wichtigere Ebenen, nämlich die Idee und die handwerkliche Umsetzung übergeordnet sind. Für Platon hat die Welt der Ideen, die Form des Idealzustands alles Seins, die größte Bedeutung, da ihr die reinste Wahrheit inne wohne. Diese ist apriori vorhanden und existiert somit vor dem Menschen. Dieser kann die Ideen der Dinge in die Welt bringen. Das schafft der Handwerker beispielsweise in dem er einen Tisch herstellt, welcher für den praktischen Umgang nützlich ist und durch diese Nutzung in seiner Form und seinem Sinn bestätigt wird. Der Künstler, welcher mit der Erstellung eines Kunstwerks eine dritte Ebene der Welt schafft, nämlich die der Abbildung der bereits in Form gebrachten Ideen, wird von Platon am wenigsten geschätzt.
Sie entferne sich am meisten von der wahren Existenz und würde nicht helfen zu wahrer Erkenntnis zu gelangen. Platon verurteilt somit ein Erzeugen von Scheinbildern in der Kunst. Dies macht er auch in seinem Höhlengleichnis deutlich, in dem sich der Mensch mit einer Realtität von Schattenspielen konfrontiert sieht, von der er sich lösen muss um in die reale Welt und aus der Höhle auszusteigen.
Auch Heidegger sieht in der Kunst eine andere Ebene der Wahrheit. In seiner Phänomenologie ist jedoch der Weltbezug des Menschen ein im Wesentlichen unterschiedliches Konstrukt. Er versucht die Kunst nicht aus überzeitlichen Phänomenen zu erklären, sondern aus sich selbst heraus zu bestimmen und gibt dem geschichtlichen Zusammenhang eine Bedeutung. Heideggers These lautet, im Kunstwerk habe sich „die Wahrheit ins Werk gesetzt“2. Er beschreibt, dass das Kunstwerk ein Ding sei, welches aber über sein Dingsein hinaus noch etwas anderes bedeute, als Symbol auf etwas verweise oder als Allegorie etwas anderes zu verstehen gebe. Die Bedeutung die dem Kunstwerk zukomme, sein Wert, sei eine zusätzliche Auffassungsform von subjektiver Geltung. Es werde also eine neue Wahrheit geschaffen, zumeist eine geistige Wahrheit, der eine künstlerische Form gegeben würde. Dabei schöpfe der Künstler aus geschichtlichen und erzählerischen Inhalten, was Heidegger als geschichtsgründende Macht der Kunst interpretiert.
Die Kunst mache somit eine zusätzliche Bedeutungsebene auf, welche Heidegger für ebenso wichtig hält, wie die Konzepte dahinter. Bedeutung und Definition der Wahrheitsebenen wird hier also anders geschildert als bei Platon. Aber welche Bedeutung haben diese Gedanken für die Gestaltung?
Auch in der kreativen Gestaltung werden neue Bedeutungsebenen erschlossen um Gedanken und Ideen eine Form zu geben. Roland Barthes zeichnet in seinen Ausführungen zu den „Mythen des Alltags“ das Verhältnis von Zeichen und deren Bedeutung nach. Er greift dabei die Überlegungen zur Semiotik von Ferdinant de Saussure auf, welcher die Unterscheidung von einer Vorstellung, dem Signifkat und dem eigentlich Bezeichnetem, dem Signifikant entscheidend geprägt hat. Barthes erweitert das Konzept, da er in der Werbung und den Mythen des Alltags noch eine zusätzliche Ebene erkennt, welche auch die Marketingstrategen der Unternehmen heute zu nutzen scheinen.
Der Mythos sei ein System, das auf einer semiologischen Kette aufbaue, die bereits vor ihm existiert habe. Er sei somit ein sekundäres semiologisches System. Dies führe zu einer konstitutiven Doppeldeutigkeit der mythischen Aussage, was bewirke, dass eine Aussage zugleich als Nachrichtund Feststellung übermittelt werde und somit als „exzessiv gerechtfertigte Aussage“3 dastehe.
Das kreative Schaffen und ihr Bezug zur Wahrheit bekommt damit eine komplexe Bedeutung. Der Gestalter als Teil der Konsumindustrie ist den Wirkungsweisen ausgesetzt und hat sie zu nutzen um den Produkten neue Wahrheiten zu verleihen. Die Ästhetisierung und Erzeugung von zeichenhaften Oberflächen ist die Hauptaufgabe des Gestalters in den Agenturen heute. Andreas Reckwitz beschreibt in seinem Aufsatz „Der Kreative“4 wie die Sozialfiguren des Künstlers und des Bürgers zusammengewachsen sind und daraus das ästhetisch ökonomische Hybridprodukt des Kreativen entstanden worden sei. Dieser sei dem Druck ausgesetzt, sowohl innerhalb der Ökonomie der Zeichen neues zu schaffen, als auch sich selbst ständig zu erneuern. Da in der westlichen Gesellschaft der immaterielle Konsum an Bedeutung zunimmt und emotionale und affektive Potentiale genutzt werden müssen um ein Produkt gut verkaufen zu können, muss neue Ware symbolisch aufgeladen und erlebnishaft angepriesen werden.
Die westliche Welt, welche den Wert der Freiheit in den nötigen Momenten für sich in höchstem Maße in Anspruch nimmt, zeigt sich hier in Bezug auf diesen hoch gepriesenen Wert in einer sehr fragwürdigen Art und Weise. Die Rolle des Kreativen sollte sich nach Albert Camus, wie er es in „Der Künstler und seine Zeit“ beschreibt, viel pflichtbewusster gestalten. Er betont, dass jede Äußerung, ebenso wie die Enthaltung eine Entscheidung sei, die zur Wirklichkeit der Welt beitrage.5 Er beschreibt die Zeit des „l’art pour l’art“ als vorbei und nicht mehr zeitgemäß und argumentiert von der Begrifflichkeit des Realismus ausgehend, dass sich der Künstler in seiner jeweiligen Zeit mit der realen Welt auseinander setzen müsse. Die Problematik sieht er darin, dass der Kreative die Wirklichkeit nicht beschreiben könne, ohne eine Wahl zu treffen, die der Originalität einer Kunst untergeordnet sei.6 Er verlangt vom Künstler deshalb, dass dieser beachten muss, eine gewisse Dosis an Wirklichkeit in sein Werk aufzunehmen. Ähnlich verhält es sich mit dem Bezug des Künstlers zu seiner Zeit: Er dürfe sich nicht von ihr abwenden, sich aber auch nicht in ihr verlieren.
Die Forderung scheint einleuchtend, aber auch ein wenig abstrakt. Wie kann ein existentialistisch denkender und der Freiheit affirmativ gegenüber stehender Gestalter innerhalb der consumer culture verhalten? Wird der Existentialismus hier zum Simulacrum und wird die Freiheit nur noch durch die Auswahl zwischen verschiedenen Konsumgütern bestimmt? Frei nach dem Motto „kaufe dieses Auto und du erlebst das Gefühl von echter Freiheit“. Es scheint tatsächlich so als würden wir in einer simulierten Freiheit leben, die uns die symbolhaften Produkte unserer selbst geschaffenen Lebenswelt suggerieren. Das Individuum als kulturelles Produkt wird es immer schwerer haben sich den Konsumidealen zu entziehen.
In der aktuellen Ausgabe des Magazins Zeit Wissen beschreibt der Autor Caspar Shaller in einem kurzen Beitrag über Kunstwerke, die einen „existenziellen Schauer“ auslösen, ein Erlebnis mit der Arbeit eines japanischen Künstlers7: Bei einem Atelierbesuch habe er nach der Bedeutung eines bestimmten Kunstwerks gefragt und wurde mit der Aussage konfrontiert, er sei so westlich. Immer würden die westlich denkenden Menschen meinen, alles müsse etwas bedeuten. Er schließt: Um sich aus dem Gefängnis der Bedeutungen zu befreien, müsse man sich vom Zwang lösen in Symbolen zu denken. Das wäre Freiheit. Im Zen-Buddhismus spielt der Zustand meditativer Versenkung eine große Rolle, welcher die Sprache anzuhalten versucht und die Seele leert. Der Titel der hier gemeinten Skulptur „Die gehende Leere“ verdeutlicht dies.
Die Konsumwelt kann schnell von den existentiellen Fragen ablenken, deshalb ist es umso wichtiger sich mit ihnen auseinander zu setzen um ein verantwortungsvolles Leben zu führen. Dafür sind Ansätze der Ideenlehre Platons interessant, durch die man die symbolhafte Umwelt für ein Gedankenexperiment lang relativieren kann. Heideggers Ideen zu geschichtsgründenden Kraft der Kunst zeigen dagegen die Bedeutungen der neu geschaffenen Inhalte auf. Diese tragen ihren Teil zur Lebenswelt bei. Dieser Aspekt weist auf die Kraft der Gestaltung hin, der sich jeder Kreative bewusst sein sollte. Der kleine Ausschnitt aus hier vorgestellten Denkansätzen macht bereits deutlich, wie sehr Philosophie und Soziologie das Verständnis von gesellschaftlichen Phänomenen bereichern können und den Weg zur Freiheit ein Stück weit ebnen. Es fällt auf, dass der verantwortungsvolle Gestalter sich entscheiden sollte, wie er der, mit Symbolen angereicherten, Konsumwelt begegnet. Denn seine Rolle als konsumfördernder Erlebnis- und Inhaltsproduzent für austauschbare Produkte ist es wert zu überdenken. Dies ist jedoch eine Frage von weitgreifender ethischer Tiefe. Es sind dabei, wie häufig die Extreme, wie die völlige meditative Leere und der
absolut unreflektierte passive Konsum, die besonders fragwürdig erscheinen. Eine der Aufgaben des zeitgenössischen Gestalters könnte es sein, einen guten Weg dazwischen zu finden um die Vorstellung von Freiheit affirmativ und real im Alltag der Menschen zu verankern, indem er die Verantwortung für die symbolhafte Verwirrung der Wirklichkeit übernimmt und so vielleicht auch mit den Mitteln neuer Medien den Weg für die individuelle Freiheit vorbereitet.
1 Diese Fragen können hier natürlich nicht in ihrer gesamten Komplexität beantwortet werden, dennoch sollen auf der Gundlage der Literatur einige Herleitungen versucht werden.
2 Martin Heidegger: Holzwege, S. 21.
3 Vgl. Roland Barthes: Mythen des Alltags, S.113
4 Vgl. Andreas Reckwitz: Der Kreative, in: Diven, Hacker, Spekulanten – Sozialfiguren der Gegenwart, S.151
5 Vgl. Albert Camus: Der Künstler und seine Zeit, S. 210
6 Vgl. Albert Camus: Der Künstler und seine Zeit, S. 211
7 Capar Shaller: Das Geplapper der Seele: Caspar Shaller befreit sich von Bedeutungen, Zeit Wissen, Nr.1, Dezember
2015/Januar 2016
Quellen:
Barthes, Roland (1957): Mythen des Alltags, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1964
Camus, Albert (1957): Der Künstler und seine Zeit
Caspar Shaller: Das Geplapper der Seele: Caspar Shaller befreit sich von Bedeutungen, Zeit Wissen, Nr.1, Dezember 2015/Januar 2016
Heidegger, Martin: Holzwege
Platon: Der Staat
Reckwitz, Andreas (2010): Der Kreative. In: Diven, Hacker, Spekulanten – Sozialfiguren der Gegenwart. Hg: Stephan Moebius, Markus Schroer, Suhrkamp Verlag