Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus
Gedanken über Camus von Sebastian Sowa
Ich habe das Buch „Der Mythos des Sisyphos vor einigen Jahren in der Hand gehabt. Ich habe nur die ersten Seiten gelesen. Was mir davon im Kopf geblieben ist: Dein Leben ist absurd. Wenn das so ist: Dann mach etwas daraus!
Den namengebenden kleinen Text am Ende des Buches hatte ich da noch nicht gelesen. Nach der Lektüre dieser wenigen Seiten muss ich feststellen: Ich mag Camus. Es ist immer etwas besonders schönes, wenn Gedanken, die man selbst im Kopf hatte, die sich aber nie verbunden haben, weil der Kopf nicht in der Lage war, die Vielheit zu einfachen, schlichten Gedanken zusammenzustauchen – es ist etwas sehr Schönes, wenn diese Gedanken bereits jemand für einen zu Papier gebracht hat. So geht es mir mit Albert Camus und dem Mythos des Sisyphos.
Das Absurde
Das Absurde „ist jener Zwiespalt zwischen dem sehnsüchtigen Geist und der enttäuschenden Welt, es ist mein Heimweh nach der Einheit, dieses zersplitterte Universum und der Widerspruch, der beide verbindet“1, schreibt Camus.
Mich überkommt der Gedanke des Absurden wiederkehrend in Anbetracht des nächtlichen Himmels. Wenn ich da so rauf gucke, dann denke ich häufig: Das Leben macht keine Sinn, das Ganze hat einfach keinen Sinn. Sobald ich das gedacht habe, habe ich häufig recht gute Laune. Es hat den Anschein, dass das Leben „umso besser gelebt werden wird, je weniger sinnvoll es ist.“2 Es erscheint mir wie eine Religion der Tat, die dazu verdammt ist nach vorne zu gucken.3 „Er ist weder ein Träumer noch ein Relativist, nur ein Kämpfer für den Augenblick.“4 So schreibt es Bern Oei in seinem Buch über Camus.
Ich bin Sisyphos. Gott ist tot. Es macht keinen Sinn. Aber es ist mein Stein.
In der Geschichte die Camus über Sisyphos erzählt kommt es dann, dass der Stein auf der Bergspitze ist und wieder ins Tal hinunter rollt, Sisyphos macht sich ebenfalls auf den Weg zurück ins Tal. „Auf diesem Rückweg, während dieser Pause, interessiert mich Sisyphos.(…) Diese Stunde, die gleichsam ein Aufatmen ist und ebenso zuverlässig wiederkehrt wie sein Unheil, ist die Stunde des Bewusstseins. (…) In diesen Augenblicken ist er seinem Schicksal überlegen.“5 Für mich liegt darin der Gedanke der Reflexion. Wenn der Stein den Berg hinunterrollt, dann hat Sisyphos Abstand zu seinem Tun. Nicht nur, das der Stein, den Sisyphos rollt, nur Sisyphos` Stein ist. Auch das Nachdenken über seinen Stein, gehört zu den Privilegien seiner Existenz.
Dieses Bewusstsein, Camus nennt es auch „die Verachtung des Schicksals“, ist Teil der Freude die ich empfinde, wenn ich in den nächtlichen Sternenhimmel gucke und mir die Absurdität bewusst mache oder anders gesagt: Mir meine tiefe Freiheit6 bewusst wird.
Wo bleibt die Moral?
Die Freude ist allerdings nicht ungeteilt. Denn was ist das für eine Welt, in der alles absurd ist. Wir sind fremd in dieser Welt. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus,“ wie es in einem Gedicht von Wilhelm Müller heißt. Bewertungen von Handlungen scheinen müßig, wenn die Existenz absurd ist. „Es gibt für dieses Leben keine ethischen Grundsätze.“7, schreibt Liselotte Richter im Anhang zu Camus` Buch und weiter: „Der absurde Mensch muss bereit sein, für seine Handlungen einzustehen und ihre Folgen zu tragen.“8
Ich kann diesem Gedankengang nicht ohne weiteres folgen, gerade dann nicht, wenn man die menschliche Existenz und das Leben der Menschen gleich setzt und beides für absurd erklärt. Warum muss man in einer absurden Welt Verantwortung für sein Handeln übernehmen? Auch wenn ich den Gedanken durchaus sympathisch finde, zwangsläufig erscheint er mir zunächst nicht.
Ich würde lieber sagen, die sinnsuchende menschliche Existenz auf der einen Seite, die sinnlose Welt auf der Anderen, dass steht in einem absurden Verhältnis. Das eine menschliche Leben im Vergleich zu den anderen menschlichen Leben, die genauso diesen Widerspruch aushalten und alle ihre Steine rollen, ist aber nicht zwangsläufig absurd.
Doch nochmal zurück zu der Frage, wie sich aus der Absurdität Verantwortung ableiten lässt und wie die Rolle des Künstlers darin aussieht. Nicht von ungefähr tritt Camus den Beweis seiner Denkweise als Künstler an, als Schriftsteller in Dramen und Romanen, nicht als Philosoph.9
Wenn man die Absurdität erkannt hat, dann gilt es dieser Absurdität in die Augen zu sehen.
Dieser Bruch kann nicht geglättet werden. Wenn man sich vom Absurden abwendet, dann stirbt die Absurdität und man verkennt die einzige Gewissheit. Dies ist für mich ein Appell der Wahrheit verpflichtet zu sein. Es gibt keine Ausflüchte. Die Verpflichtung der Wahrheit gegenüber führt dazu, das man den Widerspruch auszuhalten hat, gegen die Glättung der Welt zu revoltieren. Die Revolte „stellt die Welt in jeder Sekunde in Frage.“10
Als Künstler befragt man die Welt immer wieder aufs Neue. Sie verschließt sich diesen Fragen nicht, doch die Antworten haben keinen Bestand. Es ist diese Wiederholung, die auch müde machen kann. Nach Camus aber, muss man wach bleiben, ist es grade dieses gespannte Bewusstsein für die Absurdität, der man mit „gleichgültigem Scharfsinn“ gegenübertritt, die dem Leben seinen Wert gibt. Es ist das, was für mich im Sisyphos steckt. Immer wieder aufs Neue gefordert zu sein, die Absurdität auszuhalten, vielmehr noch, daraus seine Kraft und seine Verantwortung zu ziehen. Der Künstler kann sich nicht mit der Welt versöhnen. Die Freiheit, die aus der Absurdität entsteht ist nichts Leichtes. Sie muss ausgefüllt werden. Der Künstler muss diese Freiheit nutzen und darf sich nicht vereinnahmen lassen. So kann man Richters Satz, es kann keine moralischen Grundsätze geben, verstehen.
1 Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos, S.46
2 Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos, S.49
3 Von der anderen Seite her gedacht, könnte ein Leben mit einem Sinn, ein ziemlich bedrückendes Dasein bedeuten.
4 Oei, Bernd: Camus: Sisyphos zwischen dem Absurden und der Revolte, S.256
5 Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos, S.99
6 Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos, S.52
7 Richter, Liselotte in Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos, S.116
8 Ebd.
9 Richter, Liselotte in Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos, S.140
10 Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos, S.49