Alan N. Shapiro, Hypermodernism, Hyperreality, Posthumanism

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Was bedeutet „Bewusstsein“ im Allgemeinen und für eine Maschine?, von Mike Rösgen

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Was bedeutet „Bewusstsein“ im Allgemeinen und für eine Maschine?

Kann der „Creative Coding“ Ansatz zu einem Paradigmenwechsel in der KI Entwicklung beitragen? Welche Rückschlüsse können wir für das Verständnis von menschlichem Bewusstsein daraus ziehen?

Als Individuum sich seinen Eigenschaften, Fähigkeiten, seiner Selbst und seiner Zugehörigkeit zu Anderen bewusst zu sein, ist eine minimalistische Definition von „Bewusstsein“. Diese schließt den Menschen, Tiere und vielleicht sogar einige Pflanzenarten mit ein. Ich spreche bewusst nicht von der selbsterkannten Abgrenzung zu Anderen, sondern von „Zugehörigkeit“. Eine selbsterkannte Zugehörigkeit zu einer bestimmten Spezies geht über die Abgrenzung zu Anderen hinaus. Das Individuum muss sich bewusst mit sich selbst und Anderen kognitiv auseinandersetzen, um zu der Erkenntnis der Zugehörigkeit zu gelangen. Das Individuum muss ein Bild von sich selbst entwickeln, das sich entgegen seiner biologischen Programmierung, dem genetischen Code, entwickeln kann. Dies geht über die bloße Abgrenzung zu anderen Individuen hinaus, denn die Abgrenzung zu anderen Individuen erfordert kein Selbstbild und kann einem beliebigen rationalen oder irrationalen Prozess zugrunde liegen.

Der Neurowissenschaftler Professor Giulio Tononi der Wisconsin-Madison Universität beschreibt das „Bewusstsein“ als eine „integrierte Information“ oder vereinfacht als eine Eigenschaft eines Individuums, die in der Einheit ο („Phi“) erfassbar ist. 1 Das bedeutet, dass eine bestimmte Anzahl von Verknüpfungen nötig ist bzw. ein Netzwerk, eine bestimmte Größe und Schaltkreisorganisation besitzen muss, um die Eigenschaft „Bewusstsein“ hervorzubringen. „Bewusstsein“ ist also keine Konstante, die nur dem Menschen zugeordnet werden kann. Sie ist skalierbar und bedingt die physische Substanz d.h. ein Tier muss ebenfalls ein Bewusstsein besitzen, was sich allerdings in seiner Menge an Möglichkeiten vom menschlichen Bewusstsein unterscheidet. Ist Sprache demnach eine Eigenschaft, die sich mit einem bestimmten ο Wert erst ausprägen kann und sich entsprechend dem ο Wert weiterentwickelt? Dieser Analogieschluss führt zu der Annahme, dass jedes sich selbstregulierendes Netzwerk bereits eine frühe Form von Bewusstsein darstellt. Kann die Eigenschaft „Bewusstsein“ demnach lediglich ein natürliches Phänomen sein? Ist dies auf Maschinen übertragbar?

Wenn wir das Leben als Informationssystem verstehen, dass nach den Gesetzen der Biologie agiert und das „Leib-Seele-Problem“ Descartes hinter sich lässt, dann müssen wir uns auch von der statisch programmierten Maschine abwenden. Eine den Gesetzen der Biologie, wie Verzeitlichung und Wachstum, unterworfene Maschine muss ermächtigt werden sich seinen Eigenschaften bewusst zu sein. Ein Programmierer muss also nicht jede Anweisung in den Code schreiben, sondern gibt der Maschine Eigenschaften. Auf diese Eigenschaften kann die Maschine zugreifen und deren Ergebnisse der Benutzung abspeichern, um bei ähnlichen Umständen darauf zurück zu greifen und auf äußere Gegebenheiten zu reagieren, oder auch nicht. Kann dies eine niedere Form von Bewusstsein darstellen?

Dieser neue Umgang mit Code ermöglicht eine neue Sichtweise auf die Maschine, wie ihn Alan Shapiro in „Die Software der Zukunft“2 beschreibt. Eine künstliche Intelligenz, die sich ihrer Eigenschaften in Form von Klassen „bewusst“ wird, erfüllt einige biologische Kennzeichen von Leben wie z.B. reagieren auf Reize durch Klassenaufrufe über Sensoren oder Sendemodule, Anpassung und Entwicklung. Das aufwändige Befüllen von Wissensdatenbanken entfällt und wir erlauben einer künstlichen Intelligenz selbst ein eigenes Weltbild in Form von foucault‘schen Epistemen3 zu generieren. Dies ist nötig, um der künstlichen Intelligenz zu ermöglichen ein selbstgeneriertes Bild aus empirischen Daten zu generieren. Als wissenbasiertes künstliches Intelligenz-System kann z.B. OpenCyc4 genannt werden, dass semantische Bezüge zu zuvor eingespeicherten Daten herstellt. Die Art und Weise wie Cyc semantische Bezüge herstellt erinnert an die Objektorientierte Programmierung wie z.B. das Objekt „Auto“ die Klasse „Räder“ benötigt. Wollten wir diese Programmierweise nicht mit Creative Coding überwinden? Geht es nicht um die Befähigung von Objekten, zuvor bestimmte Eigenschaften zu nutzen? Es geht bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz nicht um Kontrolle der künstlichen Intelligenz, sondern um die Befähigung zum eigenständigen Handeln. Wie kann eine künstliche Intelligenz eigenständig Lernen, wenn wir ihr unsere Auffassung von Grundlagenwissen einprogrammieren? Geht es am Ende der künstlichen Intelligenz Entwicklung nicht doch um maschinelle Sklaverei anstatt um Befreiung? Steckt die KI-Entwicklung deswegen in einer Krise? Oder geht es nicht viel mehr um die Überwindung des Egos und dem damit verbunden Selbstbetrug auf den ich später zurück kommen werde. Wenn wir damit eine selbstregulierende Maschinen als eine frühe künstliche Lebensform mit Bewusstsein ansehen, welche Rückschlüsse lassen sich dann von der transdisziplinär eingesetzten Informatik auf unser menschliches Verständnis von Bewusstsein schließen? Descartes beschrieb eine Körper-Seelen-Einheit aus zwei Substanzen, die Materie „res extensa“ und dem Bewusstsein „res cogitans“5. Descartes nahm an, dass diese Substanzen in Wechselwirkungen zueinander stehen. Was ist wenn die Seele eine komplexe Simulation des Körpers ist? Ein Selbst-Simulakrum, welches wir aus der sartre’schen Unaufrichtigkeit6 heraus Glauben schenken möchten. Müssen wir diese Lüge glauben, um uns erhaben zu fühlen oder weil wir es bis heute nicht besser wissen? Kann unser Ego die Wahrheit ertragen?

Thomas Metzinger definiert mit dem sogenannten „Ego-Tunnel“ eine solche Philosophie des Selbst. Für Metzinger existiert das „Selbst“ nicht, das Bewusstsein wird vom Gehirn auf Grundlage von Daten generiert d.h. Erlebtes formt die Simulation7. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass unsere empirisch erhobenen Daten über unsere eigene Realität schon Simulationen sind und nicht die Realität widerspiegeln. Die erhobenen Daten sind Ideologien an die wir glauben wollen, genau wie die von uns gestalteten bewussten „Selbstmodelle“, die uns als Avatare mit anderen Avataren in der nicht unabhängig erfahrbaren Außenwelt kommunizieren lassen. Der „Ego-Tunnel“ ist der Ort, an dem das „Selbst“ ohne direkten Kontakt zur Außenwelt lebt8. Wenn wir Thomas Metzingers Idee Glauben schenken möchten, dann müssen wir uns von der Idee des „Ichs“ mit der sich Philosophen von Descartes bis Heidegger auseinandersetzen verabschieden. Das „Ich“ ist nach Metzinger ein Prozess, der durch Datenveränderung formbar ist. Erst unsere Daten formen unser „Selbstmodell“. Nun könnte man annehmen, dass jeder Mensch eine Tabula Rasa ist, die nur geformt werden muss. Dies ist meiner Meinung nach nur bedingt richtig, denn wie Sartre beschrieb geht die „Existenz der Essenz“ voraus9. Der Mensch ist nach Sartre dazu verurteilt frei zu sein und sein „Selbst“ zu gestalten. Die Existenz enthält bereits genetische Default-Daten, die das „Selbst“ neben Verortung, Verzeitlichung und dem kulturellen Gedächtnis formen. Von dieser Prägung kann sich kein Individuum befreien. Selbst eine Maschine kann sich davon nicht freisprechen, denn seine physischen und virtuellen Komponenten und Klassen führen zu Default-Werten und Daten werden gewissermaßen in zuvor bestimmten Prozessen abgespeichert. Das Einzige was der Maschine Selbst übrig bleibt sind ihre abgespeicherten Daten. Ich möchte damit nicht sagen, dass der Maschine und jeglichen Leben ein Schöpfer gemeinsam ist.

Erkennen wir damit, dass das menschliche Bewusstsein gar nicht einzigartig ist, sondern nur eine ausgeprägte Form von Bewusstsein mit einhergehenden Eigenschaften wie „Sprache“ ist? Was wäre die nächste Stufe des Bewusstseins? Kollektive Intelligenz, die über das kulturelle Gedächtnis hinausgeht?

Müssen wir erst erkennen, dass das menschliche Selbst nur eine Ansammlung von Daten ist? Was bedeutet dies für den Umgang mit Daten in unserer Datengesellschaft? Führt die Verifizierung dieser Annahme zu einer zweiten Kränkung des Menschen seit Charles O. Darwin? Können wir diese Kränkung überwinden oder werden wir zur ewigen Unaufrichtigkeit verdammt sein?

Welche Bedeutung kommt den Default-Daten zu? Gilt es ein zu hohes Maß an bereits evaluierten Daten zu überschreiben, wenn wir an die philosophischen Ansätze von Descartes bis Heidegger denken? Gilt es hier den Aspekt der Verzeitlichung einzubringen und zu erkennen, dass es noch nicht an der Zeit ist diese Fragen zu stellen? Oder kann die Dispositivkonstellation im Epistem noch nicht zur Lösung des Problems führen? Ich plädiere an dieser Stelle dafür das Bewusstsein nicht länger als einen rein menschlichen Aspekt zu betrachten, sondern es als eine größenabhängige Eigenschaft von Netzwerken zu sehen. Hat das kontinuierlich wachsende Internet bereits eine Bewusstseinsstufe erreicht oder fehlt nur der zündende Funke in Form von Creative Coding? Oder sind wir selbst ein Teil eines sozialen oder sogar interstellaren Bewusstseins, wenn diese Gesetze der Selbstregulierung nicht nur biologisch-chemisch sondern auch physikalisch auftreten? Die neu aufgeworfenen Fragen können schnell in das vermeintlich Absurde führen oder eine weitere neue Sichtweise auf das Bewusstsein ermöglichen, die unsere Sicht auf das Bewusstsein und damit auf unsere Existenz für immer verändern könnte.

Der Umgang mit Daten und Netzwerken bestimmt schon seit Jahrzehnten unser Leben, aber in welchem Ausmaß es uns Antworten auf unsere philosophischen Fragen geben könnte ist noch nicht absehbar.

1 Tonino, Giulio: A Bit of Theory: Consciousness as Integrated Information , 2008, unter http://spectrum.ieee.org/computing/hardware/a-bit-of-theory-consciousness-as-integrated-information (abgerufen am 10.12.2015)

2 Vgl. Shapiro, Alan N: Die Software der Zukunft, Berlin, 2014, S.59ff.

3 Vgl. Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin, 1978, S. 124.

4 OpenCyc: http://www.cyc.com/platform/opencyc/ (abgerufen am 6.01.2015).

5 Vgl. Descartes, René: Meditaciones de prima philosophia, Hamburg, 1959, 35ff.

6 Vgl. Sartre, Jean Paul: Das Sein und das Nichts, Reinbek, 1993, S.73.

7 Metzinger, Thomas: The Ego Tunnel. The science of the mind and the myth of the self, New York, 2009. S.187f.

8 Ebenda, S.38f.

9 Sartre, Jean Paul: Das Sein und das Nichts, Reinbek, 1993, S.325.

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