Viel mehr als ein Buch.
Es gibt keinen Tod des Buches, sondern eine neue Art zu lesen. In einem Buch gibt es nichts zu verstehen, aber viel, dessen man sich bedienen kann.
(Gilles Deleuze, Félix Guattari: Rhizom, Berlin 1977, S. 40 / 41)
»NEU – Mit zweimal so vielen Pixeln wie die vorherige Generation hat der neue Kindle Paperwhite ein verbessertes hochauflösendes 300ppi-Display für gestochen scharfen Text in Druckqualität.«
Viele fürchteten und prophezeiten: Das Buch ist tot!
Doch die Verkaufszahlen deuten etwas anderes an. Rund 5 % Umsatz erzielten die Digitalbücher 2014 in Deutschland. Doch was passiert mit dem Fetischobjekt Buch? Wird es abgelöst oder gar in seine Bestandteile aufgelöst?
Bereits ende der 80ger Jahre wurden elektronische Bücher kaufbar. Kurze Zeit später begann das Gutenberg-Projekt damit lizenzfreie Texte im Internet zur Verfügung zustellen. Diese Liberalisierung von Text im Kontext einer neuen globalen Sprache, der Hypertext Markup Language, kurz HTML, und der technischen Möglichkeit kleine mobile textdarstellende Endgeräte, führten unweigerlich zu den Digitalbücher.
Mehrere Jahrhunderte des Buchdrucks und der Buchbilderei gipfelten mit der Erfindung des digitalen Buches in das sogenannte E-Book. Noch erscheint der digitale Zwilling als gestaltungsneutrales vom Medium bestimmtes Windelkind. Doch sind die Vorzüge einer digitalen Bibliothek nicht von der Hand zuweisen. Der Wohnraum wird zunehmend kleiner, das Buch als Prestigeobjekt längst obsolet. Der Buchkörper wir ein kiloschwerer Ballast, ein Wegwerfprodukt.
Amazon Werbespot: „Der Kindle Paperwhite hat Platz für tausende Bücher und ist dabei dünner als ein Bleistift und leichter als ein Taschenbuch“ „Perfekt für das lesen mit einer Hand.“
„… mit Wörterbuch X-Ray und Wikipedia“
Im Werbespot des aktuellen Kindle Paperwhite sehen wir diesen im alltäglichen Gebrauch, ob auf dem Sofa, auf der Arbeit, im Grünen, am Strand oder im Pool. Wir können körperlos sein, überall. Der Reeder ist ein Buch, zumindest will Amazon uns das suggerieren, nein, sie sagen es selber wie es wirklich ist, der Kindle ist: „… viel mehr als ein Buch…“.
Aus dem Buchobjekt wird der Text gelöst und in einen variablen darstellenden Körper, dem Reeder, gelegt. Dieser ist, und hier liegt die Krux, mannigfaltig. Jeder der intransparenten Benutzerschaft will Texte mit seinem Darstellungsgerät lesen, doch der Gestalter kennt die Darstellungsleistung der Geräte nicht. Ein ähnliches Problem hatte das Internet und die verschiedenen Monitore und Browser. Heutzutage werden diese Anzeigeprobleme durch das Responsive Webdesign für die verschiedenen Darstellungsgeräte optimiert.
Der Gestalter als Mittler zwischen den Interfaces.
Altbekanntes gibt uns scheinbaren Halt und skeuomorphes Design soll der kalten Technik, eine sinnliche Anmutung geben. Ein heller und matter Kindle nennt sich „Paperwhite“ und hat eine druckreife Auflösung. Es scheint als könne sich der Text nicht von seinem Medium lösen und müsse sich immer wieder mit seinem alten Selbst, wie dessen Limitierungen und Vorzügen, konfrontieren, und wenn nur geringe Fortschritte erzielen.
Jedes Medium bewirkt eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung, ist Katalysator, Projektzinsfläche und Werkzeug.
Marshall McLuhan beschreibt im seinem Buch Gutenberg-Galaxis die Entwicklung unserer Kultur und Buchkultur hin zu einem elektronisch geschaffenen Dorf dem so genannten Global Village. Alle elektronischen Medien sind vernetzt, es gibt keine einzelnen Dörfer, sondern nur ein Netzwerk.
McLuhan begreift die Menschheitsgeschichte als Mediengeschichte und zeigt damit auf welche enge Verbindung zwischen diesen Paradigmen herrscht. Der gesellschaftliche Umgang mit den Medien zum Beispiel dem Massenmedium Buch änderte nach Gutenberg unserer gesellschaftliche Entwicklung emez, aus einer auf der menschlichen Stimme basierenden Kultur entwickelte sich eine visuellen Kultur. Um es etwas drastisch zu formulieren , schaffte es das Buch den Fokus einer ganzen Kultur auf eine andere Sinneswahrnehmung zu lenken. „As the Gutenberg typography filled the world the human voice closed down.“ (McLuhan 2002, 250). Das Resultat war eine standardisierte Typografie und Monopolisierung des Sehens als einzige Erkenntnisform. Alle anderen Sinneswahrnehmungen wie Hören und Fühlen wurden vernachlässigt.
Warum fühlt sich eine Reeder nicht wie sprudelndes Mineralwasser an?
Die Buchkultur befindet sich in der Möglichkeit sich zu wandeln und ist bereits verändert. Lesen ist nicht mehr linear, vielmehr rhizomatisch hyperverlinkt und persönlich. Vielleicht sollten wir nicht mehr über die Buchkultur sondern vielmehr von der Textkultur sprechen.
Textinhalt, Textauszeichnung, Textdarstellung.
Doch wie verhält es sich mit dem Buch, dem Buch als Körper.
Was ist ein Buch?, heute?
Was kann uns heute ein Buch geben?
Wie kann ein Buch sich der Linearität entziehen?
Muss ein Buch durch seine Materialwahl hervorstechen?
Wie bekommt ein Buch einen zusätzlichen Wert?
Muss ein Buch zur Dekoration werden, um im Alltag wieder Bedeutung zu bekommen?
Warum gibt es nicht zu jedem Buch einen kostenlosen Download für den E-Reader?
Brauch ein Buch Gimmicks, um attraktiv zu sein?
Ist ein Buch immer noch aktuell?
Kann ein Buch noch relevant für das Hier und Jetzt sein?
Ist ein Buch nachhaltig?
Ist Book-sharing eine Option zur Wegwerfproblematik?
Warum gibt es so wenig experimentelle Buchgestaltung?
Wie gestaltet man die Bücher von morgen?