Alan N. Shapiro, Hypermodernism, Hyperreality, Posthumanism

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Star Trek: Technologien des Verschwindens, von Alan N. Shapiro

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Star Trek is die verbreiteste “Ikone” der technologischen Kultur. Zu den größten Fans gehören Physiker, Ingenieure, Informatiker, Grafikkünstler und Medienschaffende. Doch die ursprüngliche Kreativät von Star Trek wird von der Star Trek-Industrie neutralisiert. Sie programmiert ein automatisches System von endlosen simulierten Unterschieden und verhindert so, dass die Zuschauer sich je mit einem wahren Anderen konfrontieren können.

Ich lese Star Trek gegen Star Trek. Es geht um die Sciencefiction-Zukunfts-Technologien – in Form des Transporters, der Warpgeschwindigkeit, der Zeitreisen, des Holodecks. Diese “Trek-nologie” wird aus der quantenphysikalischen Unbestimmtheit und der chaostheoretischen Komplexität entwickelt. Wenn wir an beiden Enden – Star Trek als Literatur und Star Trek als clevere Technologie – Druck ausüben, ergibt sich eine Doppelstrategie, die darin besteht, ein wenig Reales hinzuzufügen und nur in der futuristischen Sprache jenseits von den Binären-Oppositionen der Westliche-Kultur zu sprechen.

Folgen Sie mir jetzt in die unendlichen Weiten des Weltraums. Betrachen wir einige Star Trek-Episoden und Technologien etwas näher und beginnen wir mit der virtuellen Realität.

Das Holodeck ist das bekannteste System virtueller Realität, kreiert in den 1990er Jahren für die Serie Star Trek: The Next Generation. Allerdings verwirklicht diese Post-Fersehtechnologie nur die totale visuelle Information und führt zum Ende der ästhetischen Illusion. Im Gegensatz dazu verkörpert die virtuelle Realität in den ursprünglichen Star Trek-Episoden der sechziger Jahre künstlerisch das Prinzipien der radikalen Ungewissheit, der vitalen Illusion und der überraschenden Technologie.

In der Star-Trek-Original-Series Episode Landeurlaub finden sich Captain Kirk und Dr. McCoy durch einen Zufall im System der virtuellen Realität des Vergnügungsplaneten wieder, den sie aber nicht als solchen erkennen. Sie begegnen mysteriösen, bezaubernden, wesenhaften Erscheinungen aus ihren Tagträumen, die mit der Spannung zwischen Realem und Imaginärem spielen. Zu Beginn der Episo­de leitet McCoy ein Außenteam, das einen Planeten ohne erkennbare Lebensformen auskundschaftet.

Als er einen Moment lang allein ist, erscheint ein einen Meter großes weißes Kaninchen, das sofort wieder in einem tiefen Erdloch verschwindet. Verblüfft zeigt der Doktor auf das Loch, als Alice im Wunderland plötzlich auftaucht und nach dem Kaninchen fragt. Zur gleichen Zeit sieht Kirk einen ehemaligen Schulkameraden namens Finnegan, mit dem er noch eine Rechnung offen hat.

Kirk läuft hinter Finnegan her. Als er ihn endlich einholt, wird Ihm klar, dass er kelne Ahnung hat, wie Finnegan hierher verschlagen wurde. Logbuch des Captains, Sternzeit 3025,8: „Wir sehen Dinge, die unmöglich existieren können, und doch sind sie unabstreitbar real.”

Die Star-Trek-Original-Series Episode Krieg der Computer inszeniert den virtuellen Medienkrieg. Anan-Sieben von der Planetaren Kontrolldivision spricht gerade mit Captain Kirk, als er von einer Fliegeralarmsirene unterbrochen wird: „Vendikar greift an.” Eine Wand des Ratssaals gleitet beiseite und gibt den Blick auf ein Kommandozentrum frei. Anan erklärt Kirk, dass der ruchlose Feind gerade ein grausiges Massaker angerichtet hat. Es gab eine halbe Million Tote.

Trotzdem zeigt Corporal Tamuras Tricorder-Scan kelne Explosionen oder Strahlungsstörungen auf dem Planeten an: Der Krieg der Welten wird ausschließlich als Computerslmulatlon geführt. Wenn das Cyberkrieg-Programm ermittelt hat, welche Einwohner bei einer bestimmten virtuellen Explosion getötet wurden, werden „Todesfälle registriert”. Die designierten Opfer haben vierundzwanzig Stunden Zeit, sich in einer Desintegrationsmaschine einzufinden.

Wie in Amerikas Kriegen sind all jene, die tatsächlich sterben, Datenmüll, der von dem Videokriegsspiel ausgespuckt wird. Diese Schatten-Menschen sorgen für die notwendige Dosis Realitätseffekt. Die hyperreale Simulation des Krieges ist vor allem eine Methode, mit der Staaten und institutionelle Eliten Westens Ihre eigenen Bürger beherrschen. Sie ist in das Machtsystem der virtuellen Räume der Medien eingebettet. Amerika ist eine simulakrale Macht, die sich im Simulakrum des Kriegszustands befindet. Als Feind benutzt es den Anderen, das zweckmäßige Alibi fur ihr perfektes Verbrechen.

Die Schreibweise die ich umsetze folgt der inneren Logik eines Systems bis zum Ende, fügt ihr nichts hinzu und kehrt sie doch vollkommen um. Diese Écriture ist für jedes System, das wir untersuchen, absolut spezifisch. Im Falle von Star Trek müssen wir Star Trek als Literatur und Star Trek als Technologie, die sich uns widersetzt, vereinen. Im Folgenden werde ich darlegen, diese beiden Analysen im Kontext der bekanntesten Trek-nologie: dem Transporter – dem Beamen („Beam me up, Scotty“) zusammenkommen.

Doch bevor ich mich ausführlich den Implikationen des Beamens zuwende, möchte ich kurz auf zwei andere bekannte Trek-nologien zu sprechen kommen: Zeitreisen und Warpgeschwindigkeit. Letzteres ist das Star Trek-Synonym für Überlichtgeschwindigkelt.

Ein großer Teil der Forschung in der theoretischen Physik zielt darauf ab, die wissenschaftlichen Voraussetzungen für Zeitreisen zu ermitteln. „Exotische Theorien” über die Möglichkeit von Zeitreisen werden leidenschaftlich in seriösen Physikzeitschriften debattiert.

In den 1980er Jahren stieg das Interesse am normalen, nicht rotierenden Schwarzen Lochs und an der rotierenden Variante massiv an. Der Mathematiker Roy Kerr stellte die Behauptung auf, dass die Singularität eines Schwarzen Lochs nicht zwangsläufig zu einem Punkt mit starker Gravitation und unendlicher Dichte implodieren muss. Wenn die Singularität aus einem rotierenden Stern entstünde, könnte sie zu einem rotierenden Neutronenring werden.

Dieser Zustand würde es einem Raumfahrer ermöglichen, mit technischer Hilfe in den Ring das Wurmloch einzutreten. Der Reisende könnte an einem weit entfernten Ort im Raum, in einem anderen Jahrtausend oder einem Paralleluniversum herauskommen. Spekulationen über Zeitreisen verbreiteten sich anfangs sehr zum Missfallen der meisten ernsthaften theoretischen Physiker.

Kip Thorne vom California Institute of Technology, ein führender Experte in Sachen allgemeine Relativitätstheorie, begann über Schwarze Löcher zu forschen – mit dem Ziel, all die unsinnigen Vorstellungen über Zeitreisen zu widerlegen. Heute ist Thorne einer der führenden Befürworter der Zeitreisen-Pataphysik.

1994 veröffentlichte der Physiker Miguel Alcubierre Moya eine Arbeit über allgemeine Relativität und Warpgeschwindigkeit, die die Prinzipien des Alcubierre-Warpantriebs erklärt. Dieser Beitrag eröffnete einen neuen Zweig der Physik: die Warpantriebs-Theorie. Alcubierres Entwurf für interstellare Reisen erfordert eine Manipulation der Raumzeit vor und hinter dem Raumschiff. Die Arbeit wurde als Meilenstein begrüßt, der den Warpantrieb von etwas rein Fiktionalem in ein echtes wissenschaftliches Thema verwandelte.

Alcubierres Konzept verletzt keine bekannten Gesetze der Physik. Es liefert eine mathematische Beschreibung der Raumkrümmung, die es erlauben würde, in einer zu vernachlässigenden Zeitspanne die Strecke zwischen zwei Lichtjahre voneinander entfernten Punkten zurückzulegen. 1996 richtete die NASA das Breakthrough Propulsion Physics Project ein, um die Möglichkeit des Warpantriebs zu untersuchen.

In der Episode The Enemy Within stehen Captain Kirk, Leutnant Sulu, Techniker Fisher und weltere Besatzungsmitglieder der Enterprise kurz vor Abschluss eines geologischen Vermessungsauftrags auf dem Planeten Alfa 117. Nahe dem provisorischen Lager des Landetrupps stürzt Fisher auf ein Feld aus magnetischem Erz und schneidet sich die Hand auf.

Wir sehen, dass seine Kleidung mit gelben Flecken übersat ist. Kirk befiehlt Fisher, sich wieder an Bord beamen zu lassen. Leutnant Commander Scott und Transportertechniker Wilson stehen an der Bedienungskonsole des Transporterraums der Enterprise, als eine rote Warnlampe blinkt. Es gibt Probleme bei Fishers Rematerialisierung. Scotty befiehlt Wilson, die aufgetretene Dopplerwellen-Frequenzverschiebung auszugleichen.

Als nächstes will Kirk sich an Bord beamen lassen, aber Scotty ist nicht davon überzeugt, dass es gefahrlos funktioniert. Trotzdem leitet der Chefingenieur den Transportvorgang ein. Kirk erscheint auf einer der runden Platten des Transporterraums. Der Captain wirkt geschwächt. Er grelft sich mit der linken Hand an die Stirn und taumelt von der erhöhten Plattform. Scotty hilft dem sichtlich erschütterten Kirk in den Korridor hinaus und lässt den Raum unbewacht zurück.

Eine menschliche Gestalt, leicht geduckt, erscheint mit dem Rücken zu uns auf derselben Plattform, auf der Kirk wenige Augenblicke zuvor erschienen war. Der Mann wendet sich um, und wir erkennen einen zweiten, wilder aussehenden Kirk, dessen Blick unheilvoll hin und her schießt. Er sieht aus wie ein tollwütiges Tier, das gerade aus dem Käfig gelassen wurde.

Der verdoppelte Kirk geht zu den Transporterkontrollen und berührt lustvoll die Technik, die ihn unbeabsichtigt ins Leben gerufen hat. Er bedenkt die Vorrichtung, mit der seine Existenz aufs Engste verknüpft ist, mit einem anzüglichen Lächeln. Sein Blick richtet sich voll Verlangen auf die Phasenumwandlungsspulen. Seine Finger gleiten zärtlich über den Molekularbild-Scanner und die manuelle Ablaufsteuerung. Ein lüsterner Ausdruck prägt seine Gesichtszüge.

Der Fernsehlegende zufolge hat Star Trek-Schöpfer Gene Roddenberry den Transporter eingefüjhrt, um Geld zu sparen. Die Kosten, um die Enterprise auf einem Planeten landen und wieder starten zu lassen, wären nicht tragbar gewesen. Aber in The Enemy Within wird über den Transporter eine tief empfundene Angst bezüglich der dieser Technik innewohnenden Unfallgefahr zum Ausdruck gebracht. Der böse Kirk ist der intrinsische Unfall, der den futuristischen technologischen Wissenschaften notwendig zugehört.

Aber wie funktioniert der Transporter „wlrklich”? Im Laufe der Jahrzehnte haben die Erklärungen zu dieser Frage paradigmatische Verschiebungen durchlaufen. Die ursprüngliche Idee war ein physischer Transporter: Dematerialisierung-Rematerialisierung, die Um- und Rückverwandlung von Materie in Energie. Dem folgte der Informationsbasierte digitale Transporter. Schließlich kamen die „verschränkten Photonen” des Quantenteleporters, der von Physikern bereits für Lichtteilchen und, wie neulich in den Nachrichten berichtet wurde, für Atome verwirklicht wurde.

In den 1990er Jahren haben theoretische Physiker wie Stephen Hawking und Lawrence Krauss behauptet, dass der physische Transporter aufgrund physikalischer Gesetze und praktischer Überlegungen nicht funktionieren kann. In dem Buch Die Physik von Star Trek fragt sich Krauss: Wie könnte das Heisenberg’sche Unschärfeprinzip überwunden werden? Der physische Transporter würde sich mit der Unmöglichkeit der präzisen Vermessung der subatomaren Bestandteile jedes Objekts auseinander setzen müssen.

Vom Zeitgeist der Informationsgesellschaft inspiriert, schlug Krauss einen Transporter des „digitalen Seins” vor. Dieser Apparat konstruiert die neue Inkarnation der Person, indem sie den digitalisierten Bauplan ihrer Informationsbits mit einem verfügbaren Vorrat formbarer Rohmaterie kombiniert, um auf diese Weise „so viele Kopien eines Individuums zu erzeugen, wie man will. Dieses Konzept exemplifiziert die in der technologischen Kultur verbreitete Annahme, dass die Definition eines Lebewesens im verschlüsselten Rezept seiner biogenetischen Sequenz zu finden ist.

Roddenberrys  modernistische  Idee  eines physischen Transporters implizierte keine Bedrohung der vorherrschenden Vorstellung von Subjektivität. Sein Konzept der Übermittlung des Matierestroms einer Person in einem Begrenzungsstrahl erinnert an den traditionellen Ort-zu-Ort-Transport eines unbeschädigten körperlichen Selbst. Der postmoderne Digitaltransporter und der hypermoderne Quantenteleporter weisen auf einen Paradigmen-wechhsel in der Definition des Mensch-Seins hin.

Hier wird eingeräumt, dass eine Kopie von mir, erschaffen aus dem Informationsmuster des gieichen Modells oder aus einer quantenmechanischen Kopplung, mit mir selbst identisch ist. Die Obsession der technologischen Kultur, das Beamen wissenschaftlich möglich zu machen, ist ein Hinweis darauf, dass sich derzeit etwas Grundlegendes an der menschlichen Existenz beziehungsweise dem Verhältnis zur Sterblichkeit verändert.

So muss beim Beamen der Tod des ursprünglichen Subjekts ein einziges Mal in Kauf genommen werden, wenn mein Anfangs-Klon hergestellt wird. Dieser Tod wird als der kleine Preis rationalisiert werden, den man entrichten muss, um eine generalisierte kybernetische Prothese zu erhalten. Und wer wird nicht in die kleine Unannehmlichkeit des eigenen Todes einwilligen, wer wird nicht dazu bereit sein, die unbedeutende philosophische Formfrage “Wer ist wirklich ich?” zu vernachlässigen, wenn der Nutzen darin besteht, in einem Augenblick von Paris nach New York reisen zu können?

Aber das ist nicht die Sicht der Dinge, die in The Enemy Within vertreten wird. Star Trek als Literatur verhält sich auf komplexe Weise ambivalent gegenüber den vorausgesetzten Annahmen und Werten der technologischen Kultur.

Quantenphysiker bei IBM und der Innsbrucker Universität haben die Technologie der Quantenverschränkung experimentell verwirklicht. Hierbei werden zwei subatomare Teilchen untrennbar miteinander gekoppelt. Das führt dazu, dass eine Veränderung an einem der Teilchen unmittelbar von seinem Gegenstück mitvollzogen wird – egal, wie weit die beiden physisch voneinander entfernt sind. Eines der Zwillings-Lichtteilchen wird mit Lichtgeschwindigkeit an einen weit entfernten Ort geschickt, während sein Gegenstück am Ursprungsort verbleibt.

Das Unschärfeprinzip macht es unmöglich, brauchbare direkte Messergebnisse der Eigenschaften eines isolierten Photons zu gewinnen. Eine geniale Methode, sich um dieses Problem herumzudrücken, besteht darin, gleichzeitig ein drittes Photon in Verbindung mit dem zurückgebliebenen Teil des verschränkten Paares zu messen. Das entfernte Zwillingsteilchen, das am anderen Ende des Sonnensystems in einer Ankunftskammer wartet, nimmt sofort die Eigenschaften des dritten Photons an.

Die Quantenverschränkung ist aber mehr als nur die ferngesteuerte  Verdoppelung der Quanteneigenschaften eines Mikroteilchens. Es handelt sich vielmehr um echte Teleportation, denn, wie der Physiker Anton Zeilinger erklärt: „Teilchen desselben Typs im selben Quantenzustand sind sogar prinzipiell ununterscheidbar.” Ein Photon ist nichts anderes als sein eigener Quantenzustand. Sein Zustand ist seine Identität. Darüber hinaus gibt es nichts, was über das Photon objektiv als wahr ausgesagt werden kann.

Sollen wir es nach der Quantenphysik hinnehmen, dass „man wissen muss, was man wissen kann?” Sollen wir Technologien realisieren, deren „nihilistische” Auswahlkriterien nur auf Sehnsüchten der Sciencefiction-Kultur basieren? Oder sollen bescheiden sein angesichts der unfassbaren Illusion der Welt, und anerkennen, dass die „reale Welt” durch einzelne Quanteneffekte, die erscheinen und verschwinden, ersetzt wird?

Das teleportierende Photon an der Sendestation wird zerstört. Es verliert seinen Zustand. Seine Information verschwindet. Nur das teleportierte Photon an der Empfängerstation existiert weiter, in seinen Eigenschaften und seiner Substanz identisch mit dem Original. Die Technologie des Soforttransports ist verwirklicht, und bald wird sie für den Einsatz mit Molekülen, Aktentaschen, Laborratten und Posthumanen verfeinert werden.

Scotty hat hart gearbeitet, um die Funktionstauglichkeit des Transporters zu überprüfen. Der Katalysator für die Fehlfunktion war wahrscheinlich das weiche, gelbe Erz auf Fishers Overall, das „unbekannte magnetische Elemente” enthält.

Die Chaostheorie weist darauf hin, dass ein System wie der Transporter wunderbar funktioniert, solange seine stark begrenzte Konzeption als kontrolllerbares, abgeschlossenes System von äußeren Faktoren abgeschirmt wird. Sobald eine „nicht berücksichtigte” Variable ins Spiel kommt, wird ein immanenter Unfall provoziert. Sie mischt die Ausgangsbedingungen des komplexen Systems neu und löst eine Reverslbilität der Effekte aus.

Als sich die beiden Kirks in The Enemy Within erstmals von Angesicht zu Angesicht gegenüber treten, bedroht der böse Kirk den schwachen Kirk mit einem Phaser. „Willst du mich töten? Das kannst du nicht.”, sagt der erste Kirk. „lch bin ein Tell von dir. Du gehörst zu mir und ich gehöre zu dir.”

Kirk 2 ist Kirks innerer radikaler Anderer. Er erinnert an die biografischen Unwägbarkeiten die uns menschlich machen. The Enemy Within ist eine klassische Geschichte über nützliche Entfremdung. Sie stellt die Unentbehrlichkeit des Schattens dar, und die des bösen Zwillings der radikalen Alterität, der dem gesunden Standort des Seins gegenübersteht.

Das symbolische Double und das Bewusstsein des Todes bilden eine Überlebens-zone für die menschliche Existenz, wo sie der Reduzierung auf Ihre vorherbestimmte Zukunft oder der redundanten Gleichheit mit einer Serie von Klonen widerstehen kann. Der technologische Mainstream beschleunigt den Niedergang des Künstlerischen als Übungsfeld, auf dem wir lehrreiche Doubles finden.

Technologie hat außerdem noch eine nachgeordnete Dimension, die in The Enemy Within verführerisch ausgespielt wird. Wir erhaschen einen Blick auf diese Dimension des sich widersetzenden Objekts, als Kirk 2 von der Transporterplattform tritt und die Kontrollkonsole in einer verstohlenen Zusammenkunft erotisch umarmt.

Der böse Kirk ist mehr als ein Unfall im Sinne der Kontingenz. Er ist die Technologie. Er ist die clevere Rache für das Projekt der Simplifizierung der Welt. Technologie ist das Reich der radikalen Illusion der Welt, wo das Gerät sich seinen Herren entzieht und seine Schlauheit gegen die oberflächlichen Überzeugungen seiner Erfinder wendet, die sich eine willfährige, von ihren Techniken beherrschte Welt wünschen.

Vom Standpunkt des guten Kirk hat der Transporter mit seiner Fehlfunktion das Negative zugunsten des Positiven augespien. Der Transporter versucht, das Böse auszutreiben. Die vollkommene und purifizierte Information, die für das Cleanroom-System verfügbar sein muss, um ein neues „Ich” zu instanziieren, darf nicht von seltsamen Attraktoren verunreinigt sein.

Zuerst glaubt Spock, dass der schwache Kirk der echte Kirk sei und der böse Kirk ein Betrüger, ein Imposteur. Aber der Wissenschaftsoffizier begreift schnell, dass der böse Kirk etwas Bedeutsameres als eine Fälschung ist, und dass auch der schwache Kirk nicht der „echte Kirk” ist. Als immer deutlicher wird, dass dem schwachen Kirk die modernistische Fähigkeit sorgfältig überdachten, von Kontextwissen geleiteten Handelns fehlt, versucht Dr. McCoy Kirk 1 zu der Einsicht zu bringen, dass Kirk 2 in Wirklichkeit das „Böse” in ihm selbst ist, ohne das er nicht leben kann.

„Wir haben alle unsere dunklen Seiten. Sie gehören zu unserem Wesen. Das ist nicht böse, das ist menschlich.” McCoy setzt dem Prinzip des Guten, das in Wirklichkeit das Prinzip der Trennung von Gut und Böse ist, das Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit von Gut und Böse entgegen.

Der notwendige Unfall des doppelten Kirks wirft ein kritisches Licht auf die Essenz, das Punktum des Transporters: Es handelt sich dabei um die absolutistische Phantasmagorie volkommenen Wissens über eine Person, eingefangen in einem digitalen Musterbild oder in einer quantenphysikalischen Momentaufnahme ihrer subatomaren Teilchen. Es ist der Traum von einem anhand seines Informationsgehalts vollständig verstehbaren menschlichen Wesen, identisch mit sich selbst, das eine vollständig ermittelbare Existenz durchlebt.

Scotty hat sich bei der Reparatur des Transporters beholfen, indem er  Überbrückungsschaltkreise benutzt hat, die mit dem Impulsantrieb verdrahtet sind. Der schwache Kirk hält seien teilnahmslosen Doppelgänger aufrecht im Arm, scheinbar liebevoll, bereit für die Aktivierung des Transporters. Spock zieht die Schieberegler herunter. Anhaltende Stille. Er zieht die Schieberegler wieder hoch.

Ein Kirk erscheint auf der Plattform. Wir sehen McCoys angespannten Gesichtsausdruck, dann Spocks gleichermaßen angestrengte Miene. „Jim?”, fragt MeCoy zögerlich.

Mein Punkt ist, dass Wissen lebendig werden muss, sodass der Benutzer tatsächlich Wissen erlebt – im Sinne von Virtual Reality wie in der Holodeck-Technologie bei Star Trek. Virtuelle Holodeck-Realität ist zum ultimativen Ziel für Startup-Unternehmen in der IT-Branche geworden, die Virtual-Reality-Systeme für Anwendungen in der „realen Welt“ entwickeln.

In diesen Geschäfts-, Unterhaltungs-, und Militär-Kontexten ist das Holodeck zu einem hyperbolischen industriellen Standard der Perfektion, sowie einem kraftvollen kulturellen Symbol avanciert. Wie Michael Heim – der Autor von The Metaphysics of Virtual Reality (1993) und Virtual Realism (1998) – darlegt, bedeutet das Holodeck aus Star Trek für die aufkeimende VR-Computer-Industrie das, was Star Treks interstellare Raumfahrt im Allgemeinen für die NASA ist: eine Offenbarung (oder schwächer: ein leuchtendes Vorbild).

Das Holodeck mit seinem idealen „Human-Machine Interface„ aus sprachaktivierten Befehlen und ultra-realistischen Landschaften, Objekten, Szenen und gehenden und sprechenden Avataren, wird zum Geist, zum Heiligen Gral, der die unternehmerische Forschung zur virtuellen Realität antreibt.

Wir müssen eine Synthese anstreben zwischen den traditionellen Stärken der Buchkultur und dem, was spannend und vielversprechend ist an Multimedia – was im Wesentlichen immer Erlebnis (experience) bedeutet.  In anderen Worten: Lernen sollte in die Tiefe gehendes Wissens, das kritisches Denken fördert – wie die Auseinandersetzung mit einem Text beziehungsweise einem Buch – und das Versprechen von Multimedia und neuen Technologien, dass dieses Wissen erlebbar wird, kombinieren. Wir haben großen Respekt vor Büchern, aber wir wollen sie beleben, um die Vitalität des Wissens, die sie enthalten, zu steigern.

Die großartige Star Trek-Episode „All Our Yesterdays“ aus The Original Series zeigt genau diese Synthese zwischen Buchkultur und Erlebnis.

Captain Kirk, Mr. Spock und Dr. McCoy beamen sich hinunter auf den Planeten Sarpeidon, den einzigen natürlichen Satelliten des Sterns Beta Niobe, der in dreieinhalb Stunden als Supernova explodieren wird. Obwohl zuvor bereits festgestellt wurde, dass eine „zivilisierte humanoide Spezies“ auf dem Planeten wohnt, zeigen die Sensor-Scans der Enterprise seltsamerweise an, dass  kein intelligentes Leben mehr auf dieser Welt vorhanden ist. „Wie kann ein Planet voller Menschen einfach verschwinden?“, wundert sich McCoy.

Das rätselhafte Verschwinden wird ansatzweise erklärt, als ein älterer Mann mit schütterem Haar erscheint, der ein langes, glänzendes Gewand trägt. Kirk stellt dem ehrwürdigen Herrn die Frage, wohin all die Leute von Sarpeidon gegangen seien. Worauf Herr Atoz (Mr. A bis Z) – gespielt von Ian Wolfe – beiläufig antwortet: „Wohin sie wollten, natürlich. Es hängt allein von der Wahl des Individuums ab.“

Sarpeidons globale politische Führer und leitende Wissenschaftler wussten seit langem von der bevorstehenden Katastrophe – der Supernova. Emsig haben sie einen massenhaften techno-wissenschaftlichen Überlebensplan umgesetzt, unter Einsatz eines beeindruckenden Spektrums an biogenetischen, Multimedia- und Zeitreise-Technologien.

Obwohl sie technologisch sehr fortgeschritten sind, haben die Sarpeids ihre gemeinsamen Anstrengungen nie auf die Entwicklung von Raumfahrttechnologien verwendet. Stattdessen mobilisierten sie ihre gesamten finanziellen und geistigen Ressourcen sowie Neue Medien für den Bau einer riesigen von Technikern verwalteten Bibliothek – ein Supercomputer und ein bemerkenswerter Apparat zum Beugen der Realität.

Diese Bibliothek enthält keine Bücher, sondern VERI-SIM-Mini-Disks aus Silber, auf denen die digitalisierten oder virtuellen Inhalte unzähliger Ereignisse aus der Geschichte des Planeten gespeichert und „in jedem Detail erhältlich“ sind. Die dünnen, runden, CD-ähnlichen Platten bieten eine „breite Palette an Alternativen“. Jede der mehr als zwanzigtausend Platten kann ganz einfach mit einem Stativ-Sichtgerät und einem Headset, die sich in einer eigenen Arbeitskabine der Bibliothek oder an einem Schreibtisch befinden, studiert werden.

In den letzten Tagen vor der Supernova-Katastrophe wählte jeder Bewohner von Sarpeidon seinen bevorzugten Ort zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt aus den riesigen Archiven der Bibliothek. Dann ließ er einen System-Administrator eine Software-Routine für das Lesegerät bearbeiten, um das gegenwärtig im Viewer platzierte Medium auszuführen.

Captain Kirk lächelt, als er in seinem Viewer auf einer Minidisk-Simulation Menschen erblickt, die in Pferdekutschen auf einer gepflasterten Straße fahren. Es ist eine Szene aus dem späten siebzehnten Jahrhundert in England. Kirk hört plötzlich eine Frau um Hilfe schreien. Er betritt das Zeitreise-Portal und wird ein romaneskes Abenteuer erleben.

Das Geniale und Wichtige an Star Trek ist, dass diese Serie Geschichte und Literatur mit den neuen Medien und neuen Technologien zusammen denkt. Dies ist genau das, was getan werden muss, und in der Tat ist es nach dem Kantschen kategorische Imperativ ziemlich naheliegend dies zu tun. Es ist das einzig Logische, wie Spock sagen würde. Falls man in der Lage ist zu denken, was wir jetzt – wie Heidegger prophezeit hat – tun müssen.

Als verantwortungsbewusste und zivilisierte Menschen wollen wir die Errungenschaften der Menschheit aus früheren Epochen respektieren. Und wir wollen ebenfalls die technologischen Leistungen von heute respektieren, auch wenn sie zurzeit mit wenig Bewusstsein angewandt werden.

Ich werde mit der Erwähnung eines fünften und letzten Punktes abschließen. Er betrifft das Verhältnis zwischen Bibliotheken und Wikipedia. Bibliotheken brauchen keine Wikipedia. Aber Bibliotheken brauchen so etwas wie Wikipedia, einen verbesserten Nachfolger von Wikipedia. Tendenziell hält Wikipedia Studenten davon ab selbst weiter zu forschen (oder: zu recherchieren).

Der Nachfolger von Wikipedia sollte so gestaltet sein, dass er Studenten ermutigt tiefer in ein Thema einzusteigen. Das kritische Nachdenken über Wikipedia steht im Mittelpunkt dieses Kongresses. Wie ich bereits in Amsterdam gesagt habe, bin ich Wikipedia gegenüber nicht so kritisch wie die meisten anderen Redner, zumindest jene, die ich dort gehört habe.

Ich bin der Meinung, dass Kritik oder kritische Theorie ein wichtiger Bestandteil einer größeren Perspektive sein sollte, und diese größere Perspektive sollte konstruktiv sein. Als Software-Unternehmer bin ich eine Mischung aus einem Französisch-deutsch-dekonstruktivistischen Marxist und einem US-amerikanischen optimistischen Pragmatist. Ich bin solidarisch mit Richard Rorty, der gesagt hat, dass wir Radikalismus und Liberalismus kombinieren müssen, ohne das eine oder das andere zu verwässern.

In den Star Trek: The Next Generation-Episoden „Sherlock Data Holmes” und „Das Schiff in der Flasche” werden Fehlfunktionen des Holodecks behandelt – eingebettet in eine Sherlock-Holmes-Rahmenhandlung, in der Dr. James Moriarty einen überraschenden Gastauftritt als Simulation bzw. als virtueller Avatar hat. Das Holodeck stellt gewissermaßen eine weiterentwickelte Virtual-Reality-Unterhaltungstechnologie dar. Technikkultur ist fasziniert von neuen Lebensformen und von dem Bewusstsein, das aus Technologien erwächst, die sich als „real” verstehen. Nur selten berücksichtigt Technikkultur jedoch, dass diese Cyborgs „heroische Symptome” der Tatsache sind, dass der vielgepriesene Status „der Wirklichkeit”, den sie zu erreichen erhoffen, schon vollständig destabilisiert ist.

Angesichts seines Bewusstseins betrachtet Moriarty den Fortbestand als holographischer Avatar bzw. holographisches Bild als unerwünschtes Schicksal, das darin besteht „in einer Welt gefangen“ zu sein, „von der ich weiß, das sie nur eine Illusion ist”. Captain Picard, Lt. Barclay, und Lt. Commander Data halten in Anwesenheit der verstimmten computercodierten Umrisse von Moriarty eine Krisensitzung ab. Um die Nichtexistenz holographischer Materie in der „wirklichen Welt” nachzuweisen, wirft Picard ein Buch in eine „reale” Öffnung des Sitzungszimmers und sagt dabei zu Professor Moriarty, dass „er nur eine Computersimulation“ sei. Moriarty vermag es jedoch, nonchalant von dem Holodeck hinüber in den real existierenden Korridor der Enterprise zu wechseln. Wie er behauptet, gelingt ihm diese beispiellose Leistung lediglich durch eine schlichte Anstrengung seines Willens: „Wenn mein Wille stark genug ist, kann ich vielleicht sogar außerhalb dieses Raumes leben”, verkündet er und ergänzt, dass er auch gleich jetzt in ihre Welt treten könne: „Verstand über Materie. Cogito ergo sum. Ich denke, also bin ich.“

Die Popularität der von Daniel Davis dargestellten humanoiden Persönlichkeit könnte jedoch besser mit dem erklärt werden, was Jean Baudrillard als Krise der Realität beschrieben hat. Ein „Mensch” von unbestimmtem kognitiven Status, der einem dichotom abgetrennten Bereich der „Fiktion” entstammt, begehrt verzweifelt die angeblichen Sicherheiten, Freiheiten und Privilegien unseres Universums und schmeichelt damit unserer ungestörten „Echtheit”. Moriartys Neid bestärkt unsere fundamentale Überzeugung von der Integrität unserer Umgebung und Wirklichkeit. Es ist die übliche Fokussierung auf die angeblich höchst interessante, wenn auch nicht zu lösende Frage nach einer „Menschlichkeit des Androiden” bzw. einer „bestimmbaren Wirklichkeit des Avatars im Cyberspace”. Damit rückt es die Aufmerksamkeit weg von der viel wichtigeren Frage, inwiefern wir selbst eigentlich noch menschlich sind. Sind wir selbst noch in einem existentiellen Zuhause bzw. in ein Wahrnehmungsfeld eingebettet, das akkurater Weise als „Wirklichkeit” bezeichnet werden kann? Unsere Emphatiebekundungen für Moriartys Notlage sind ebenso wie die politisch-epistemologische Frage der Verleihung von „Menschenrechten” an Androiden, Roboter und Software-Agenten dann nichts weiter als ein dünnes Furnier, mit dem wir unsere „Schadenfreude” und Verachtung übertünchen, die wir gegenüber den „künstlichen” Entitäten hegen. Die Projektion unserer Unsicherheit auf dieselben ersetzt die Konfrontation mit unserer eigenen Unsicherheit – und stellt damit eigentlich nur eine weitere Form der Missachtung ihrer Anders- und Einzigartigkeit dar.

In den beiden Star Trek-Episoden „Elementary, Dear Data” und „Ship in a Bottle” weist das Holodeck somit in intelligenter Weise auf das Problem der Auflösung einer klaren Trennung zwischen real und virtuell also auf die Ersetzung von Wirklichkeit durch Simulation hin. Die Auseinandersetzung mit Moriarty stellt die herkömmliche virtual reality ebenso in Frage wie die selbstsichere humanistische Annahme, dass wir selbst genau wüssten, was Realität ist. Das, was wir Realität genannt haben, ist in der Moderne durch die neuen Technologien vom Aussterben bedroht. Für uns stellt dies allerdings keine nachteilige Situation, sondern eine positive Möglichkeit dar. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, schrieb Friedrich Hölderlin. So trete ich für eine Revolution im Design von Software ein, bei der Simulation – in ihrer radikalsten, verführerischsten Form – zur treibenden Kraft wird, um eine neue Wirklichkeit hervorzubringen, anstatt weiterhin als schwache Stütze eines längst nicht mehr zeitgemäßen Paradigmas von Realität zu fungieren. Im Herzen der Simulation befindet sich das Geheimnis der Verführung bzw. des symbolischen Tausches. Im Herzen von Geschwindigkeit, Zirkulation, Virtualität und Technologie befinden sich ihre geheimnisvollen, reinen Formen, die, sobald ihre Faszination und verführerischen Potentiale wertgeschätzt und erklärt werden, zu einer Umkehrung und Transformation ihrer hyperrealen und dominierenden Mainstreamversionen führen. Martin Heidegger hat dies in seinem Aufsatz „Die Frage nach der Technik” in Bezug auf die „Umkehrung” bzw. „Wandlung” von Technologie bereits vorgedacht.

Übersetzung von Jakob Schmidt, Miriam Loy, Marcel Marburg und Alan N. Shapiro

 

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