Alan N. Shapiro, Hypermodernism, Hyperreality, Posthumanism

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Marshall McMedientheorie und Veni Vidi Virilio, von Tina Boes

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Marshall McLuhan (*1911 – †1980) gilt als Erfinder der Medientheorie und hat in den 60er Jahren das globale Netzwerk Internet hervorgesehen. Er war in der Lage die Zukunft zu betrachten. Vielleicht war er ein Zeitreisender aus der Zukunft. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass er von einem anderen Planeten oder aus einer anderen Realität kam; Einer Realität, die unserer Zukunft gleicht. In der Einleitung seines Buches „The Global Village“ lassen einige Zitate darauf schließen: „We live in the 19th century“ (S. viii) sowie „As usual, man was unaware of transformation“ (interpretiert als „as usual man“, s. ebd). Die Bezeichnung des „Globalen Dorfes“ für die elektronische Vernetzung von Menschen über den gesamten Erdball etablierte sich mit dem Erscheinen des Buches um 1985 und findet sich 30 Jahre später immer noch in unserem allgemeinen Sprachgebrauch als Metapher für das Internet wieder.

McLuhan geht in „The Global Village“ davon aus, dass in westlichen Zivilisationen seit der Einführung des phonetischen Alphabets in der Antike und verstärkt seit Erfindung des Buchdrucks1 der „sensus communis“, eine Balance zwischen den menschlichen fünf Sinnen2, lange Zeit unausgeglichen war (S. 37). (Balance wichtig um gesunder Mensch zu sein.) Er meint, es hätte mit dem ersten Weltkrieg einen Bruch in der Geschichte gegeben wobei dem gesprochenen Wort wieder mehr Bedeutung zukam (S. 46). Dazu hätten für damalige Verhältnisse neue Medien wie das Radio und später der Computer beigetragen. Der Erfinder der Medientheorie schreibt: „This new interplay between word and image can be understood if we realize that our skulls really contain two brains straining to be psychically united” (S.47)3. Diese Vereinigung erwartete McLuhan scheinbar erst mit der aufstrebenden Flower Power-Bewegung zu Beginn der 70er Jahre (S. ix). In dieser kreativ-musikalisch geprägten Generation sah er die Möglichkeit einer Neuordnung der Welt – weg von der Dominanz linearer Denkstrukturen und dem visuell geprägten Raum, hin zu einer multisensorischen Wahrnehmung durch die Schulung der Perzeption des akustischen Raums. Mit „The Global Village“ versuchte er dieser Umgestaltung einen Bezugsrahmen zu geben. Dieser beinhaltete die Methode einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit einem Medium anhand von vier Leitfragen, visualisiert durch eine Tetrade4.

Wenn McLuhan nochmals in unsere Realität reisen würde, würde ich gern mit ihm über diese Meinung diskutieren. Ich glaube, dass erzählte Geschichten und Lieder schon immer ein bedeutender Teil jeglicher Gesellschaften waren. Als Beispiel dafür dient der Bänkelsang. Wenn wir sie auch nicht als Massenmedien bezeichnen können, so fungierten die Bänkelsänger vom 17. bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eine Art Nachrichtenmedium5.

Und da McLuhan vor allem an die Vereinigung der beiden Gehirnhälften appelliert, frage ich mich außerdem wo er den menschlichen Körper und seine Bewegungsfähigkeit verortet?

Seit der Etablierung des World Wide Web kann man ortsunabhängig mithilfe eines internetfähigen Mediums immer auf dem neuesten Stand sein, sowohl was das Weltgeschehen als auch zwischen-menschliche Beziehung anbelangt. Dies trug zum Phänomen des „gläsernen Menschen“ bei6, sowie die Weiterentwicklung digitaler Welten zu Veränderungen des menschlichen Körpers. Diese Veränderungen konstatieren sich zum Einen in der Zunahme von Fettleibigkeit 7. Und zum Anderen auch in technischen Modifikationen des menschlichen Körpers, sowie McLuhan es vorhersah: „The more quickly the rate of information exchange speeds up, the more likely we will all merge into a new robotic corporate entity” (S.129). In Deutschland ist die Gründung der Gesellschaft zur Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik, kurz Cyborg e.V., im Jahr 2014 wohl die Manifestation des Transhumanismus in unseren Breitengraden.

1995, 15 Jahre nach McLuhans Tod in unserer Realität (oder seiner Rückreise in seine Realität), geht der Medienphilosoph Paul Virilio in seinem Buch „La vitesse de la libération“ (dt. Flucht-geschwindigkeit) u.a. konkreter auf meine vorhergehenden Frage der Körperlichkeit ein. Virilio schreibt: „Mit der Revolution der Techniken für die unmittelbare Übertragung erleben wir gegenwärtig die Anfänge einer »allgemeinen Ankunft«, bei der alles ankommt, ohne daß es notwendig wäre wegzugehen“ (S. 28). Und weiter: „Diese ALLGEMEINE ANKUNFT erklärt auch die unglaubliche Erfindung des nicht mehr nur audiovisuellen, sondern auch taktilen und interaktiven […] statischen Vehikels (S.28f). Als Beispiel führt er die Erfindung des Datenanzugs an, welcher zunächst der Raumfahrt dienen sollte. Mit dem Anzug lassen sich menschliche Bewegungen und Empfindungen auf ein „automatisiertes Double“ (S.29) übertragen. In Virilios Logik der Fortschrittspropaganda bedeutet die Erfindung des Datenanzugs die Konsolidierung des Menschen als häusliches Wesen – eventuell sogar eine rückwärtsgewandte Evolution zum Höhlenmenschen. Mithilfe von McLuhans Tetrade-Modell lassen sich die Zusammen-hänge nachvollziehen:

Datenanzug ====>

tetra

An dieser Stelle erfasst Paul Virilio für uns nicht nur wie die Zukunft der Menschen unseres Planeten aussieht, sondern auch wie Marshall McLuhan aus seiner Realität in unsere Realität fand: „Das der Bewegungslosigkeit hingegebene interaktive Wesen überträgt seine natürliche Bewegungs- und Fortbewegungsfähigkeit an Sonden und Detektoren, die es auf Kosten der eigenen Fähigkeit der Realitätserfassung unmittelbar über eine weit entfernte Realität informiert […]“ (s.S.29).

Offen bleibt allerdings, woher Virilio diese Zusammenhänge wusste…

1 McLuhan nannte diese Epoche „Gutenberg-Galaxy“.

2 Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Tasten

3 Die linke Gehirnhälfte wird dominiert vom Auge und linearen Denkstrukturen während die rechte Gehirnhälfte Ohr-gesteuert ist und somit ganzheitliche, kreative Denkprozesse ermöglicht (s. Fig 4.3., S. 54)

4 Tetrade ist ein aus vier Einheiten bestehendes Ganzes.

5 http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/untergegangene-berufe-der-baenkelsaenger/1580952.html

6 McLuhan nennt es „the age of Aquarium“, in dem er interessanterweise auch prophezeit, dass diesmal die Fähigkeiten der linken Gehirnhälfte verkümmern und im akustischen Raum untergehen werden (s.S.92).
Tina Boes——–Institut für Transdisziplinäre Gestaltung——–Alan Shapiro- Kurs———-25.11.2015

7 „Neben der sozialen Ansteckung sind zwei weitere Gründe für die Ausbreitung der Fettsucht hauptverantwortlich, berichten die Forscher: Zum einen die leichte Verfügbarkeit von ungesunden Lebensmitteln und der bequeme, überwiegend sitzende Lebensstil“ (http://www.welt.de/gesundheit/article10735003/Zahl-der-Fettleibigen-waechst-gigantisch.html

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