Alan N. Shapiro, Hypermodernism, Hyperreality, Posthumanism

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Interview with AVINUS Press about The Technological Herbarium

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AVINUS Press (Anabelle Assaf): Worum geht es im Technologischen Herbarium? (Kunst? Technologie? Natur? Informatik?)

Welche Art von Kunstwerken hat die Autorin gewählt, und was macht diese so besonders?

What is The Technological Herbarium about? (art? technology? nature? computer science?) What kind of artworks did the author choose, and what makes them so special?

Alan N. Shapiro: The Technological Herbarium by Gianna Maria Gatti is an interdisciplinary work, and it places into question in a very strong way the existing division of knowledge into separate spheres like art, technology, natural science, and computer science. I don’t think that these separate categories of disciplinary knowledge are helpful at all anymore…

Das Technologische Herbarium ist eine interdisziplinäre Arbeit, die in besonders starker Weise Fragen nach der Verteilung von Wissen in verschiedene Bereiche wie Kunst, Technologie, Naturwissenschaften und Informatik (Computerwissenschaft) aufwirft und beantwortet. Ich denke allerdings nicht, dass diese Trennung der Disziplinen hilfreich ist. Das Technologische Herbarium argumentiert disziplinübergreifend, indem sie die ästhetische und soziologische Komponente der Software und anderen „Neuen Medien / Neuen Technologien“ ernst nimmt und sich Fragen widmet wie z.B. „Was ist Natur?“ von Merleau-Ponty. Daher akzeptiert die Autorin die binäre Opposition von „natürlich“ und „künstlich“ nicht. Die Aufteilung in Naturwissenschaften und anderer Wissenschaften ist absurd. All das muss neu durchdacht werden und Gatti hat hierzu einen bedeutenden Beitrag geleistet. Wir leben in einer Zeit, in der der Anthropozentrismus, der den Natur -und Geisteswissenschaften gleichermaßen zugrunde liegt, auseinanderbröckelt. Wir brauchen also ein neues kreatives Denken für ein neues Klassifikationssystem von Wissen.

Gatti betrachtet Kunstwerke der letzten 30 Jahre, die sich mit der Dekonstruktion des Anthropozentrismus auseinandersetzen. Dass diese Selbstzerstörung zu Beginn des 21. Jahrhunderts stattfinden würde, sahen bereits bedeutende Philosophen wir Merleau-Ponty, Bateson, Heidegger, Derrida und Nancy voraus – natürlich abstrakt, schließlich waren sie Philosophen, keine Technologiker. Gatti bezieht sich auf Kunstwerke, die mit den technischen Wissenschaften in Beziehung stehen. Die Künstler verwenden in ihren Werken Installationen aus und mit Computern, Elektronik, Video, Netzkunst (net.art), Roboter und virtuelle Realität(en). Und diese Kunstwerke haben alle etwas mit der pflanzlichen Natur, mit Bäumen, Pflanzen, Blumen, Gärten, Bambus etc. zu tun.

AVINUS Press (Anabelle Assaf): 2. Wieso ist die elektronische Kunst in der wissenschaftlichen Literatur bisher so wenig umfangreich beachtet worden, ODER, warum kann das « Technologische Herbarium » als erstes wissenschaftliches Standardwerk zur elektronischen Kunst verstanden werden?

Ich hoffe, dass wir eine mehr oder weniger definitive Antwort auf diese Frage von Peter Weibel (Direktor des Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe) erhalten werden, der allgemein als der führender Experte auf dem Gebiet der elektronischen Kunst und der Kunst im Kontext der „Neuen Medien / Neuen Technologien“ angesehen wird. Gibt es ein anderes Buch, das in Bedeutung, Qualität, Stil und philosophischer Fülle an das Technologische Herbarium heranreicht? Ich glaube nicht. Ich selbst habe eine Menge Bücher zu diesem Thema gesammelt. Diese Bücher sind okay, aber nicht sehr methodisch angelegt, eher journalistische Überblicksdarstellungen von Kunst, die sich auf die Darstellung von „Informationen“ beschränken. Wenn du versuchst ein Wissensgebiet auf akademische Weise zu systematisieren, dann zerstörst du es. Ich habe die Hoffnung, dass der AVINUS Verlag eine neue Form des (Fach-)Buches (wie das Technologische Herbarium), ich nenne es „post-akademisch“, erfolgreich verbreiten wird. Wir müssen wirklich viel mehr neue kreative Wege finden, um Wissen zu verbreiten. Wir müssen den Leser mit einbeziehen.

AVINUS Press (Anabelle Assaf): 2b. Inwiefern hat sich die elektronische Kunst in den letzten 30 Jahren entwickelt, oder verändert?

Ich bin fasziniert von einigen Arbeiten in dem Buch. Vor allem von Bruce Damer, Char Davies, Sommerer and Mignonneau, Amy Youngs, Eduardo Kac und den italienschen Künstlern Gilardi, Toffolini, und Mussini. Also the American video artist who lives in Berlin Ira Schneider, who is not mentioned in the book. Mich interessiert daran, was ich als die „Illusion jenseits der Kunst“ bezeichne, ein Konzept, das ich von Jean Baudrillard übernommen habe. Kunst sollte nicht länger in Museen, Galerien, Konzerthallen, Theatern, in als vom Staat offiziell gekennzeichneten Orten der Kreativität und in von Liebhabern finanziell unterstützten Stiftungen wohlbehalten versteckt werden. Das verstärkt bloß die Passivität, konsumierende Einstellung und Unkreativität eines jeder in der kapitalistischen Gesellschaft. Ich bin nicht gegen Kapitalismus, aber ich mag die gegenwärtige Ausprägung des Kapitalismus’ nicht. Kreativität kann nur dort stattfinden, wo wir kreative Situationen und Schauplätze erzeugen, die Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Umfeldern zusammenbringt. Reiche und Obdachslose. Jeder, der elektronische Kunst macht und sich als „kreative Person“ bezeichnet, vergisst diesen Punkt. Ich denke auch, dass es sehr notwendig ist „offline“ zu gehen und einen großen Teil seiner Zeit außerhalb des Internets mit seiner virtuellen Realität zu verbringen. Wir werden von der Technologie verfolgt und vergessen, wie es ist zu atmen, zu tanzen, zu gehen, wir verlieren unser inneres Gleichgewicht und verlernen, uns auszudrücken. Die elektronischen Technologien sind wertlos solange sie nicht mit der guten alten Realität kombiniert werden. Das „Neue Reale“ wie ich sie in vielen meiner Aufsätze und in meinem Buch Star Trek* beschrieben habe, besteht aus dieser Verbindung aus „online“ und „offline“. Die großartigen Künstler, die im Technologischen Herbarium vorgestellt werden, überwinden das Simulacrum einer fetischistischen Besessenheit von Technologien.

AVINUS Press (Anabelle Assaf): Erscheint das Buch zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt in dieser Entwicklung?

Ja, meiner Meinung nach ist das Internet im Jahr 2010 zu einem schrecklichen Ort geworden, und wir müssen vernünftig über eine Alternative nachdenken. Was ich sagen will ist, wir müssen auf die ursprünglichen Medien –und Technologietheoretiker wie Marshall McLuhan und Harold Innis zurückgehen, um zu verstehen. Wir befinden uns heute in einer entsetzlichen Unordnung. Das Internet, wie es derzeit besteht, ist all das Schlechte wie es Foucault und Baudrillard, sogar Orwell, fürchteten. Es ist absolute Überwachung und Kontrolle: Die Überwachungsgesellschaft. Und es ist absolute Information, aber kein Wissen. Überall findet man „dead links“ ohne gesellschaftliche Mechanismen, sie zu entfernen. Denn, jeder kümmert sich nur um sich selbst und ist bestrebt Geld zu machen. Es gibt keine „Community“, also wer entfernt die toten Verlinkungen und sammelt den Müll ein? 90% des Internets besteht aus vorgefertigten, Computerprogramm generierten, Seiten ohne Inhalt; nur keywords, damit Google sie findet. Als Programmierer kann ich Beispiele von Foren nennen, in denen schwierige Programmierfragen diskutiert werden. Vor 5 bis 10 Jahren waren diese Foren hoch-qualifizierte Wissensquellen, die von Menschen betrieben wurden, die gern programmieren. Heute werden damit Geschäfte gemacht. Um qualifizierte Antworten auf erweitere Fragen zu bekommen, brauchst du Geld, um den Kundenservice einer großen Firma zu kontaktieren. Das Internet ist heute ein geklontes System, in dem dieselben Informationen zu irgendeinem Thema vielfach wieder erscheinen. Einer legt vor, und dutzendweise wird kopiert.

AVINUS Press (Anabelle Assaf): Was hat dich als Herausgeber persönlich an dieser Thematik interessiert?

Der philosophische, soziologische und kulturelle Diskurs zum Cyberspace und zur Technologie stagniert in den englischsprachigen Ländern und in Deutschland. Die letzten wirklich originellen Ideen stammen aus den 1990ern von Kevin Kelly und Howard Rheingold. Das meiste, was heute gesagt wird, sind Derivate von ihnen: der Schwarm (hive), die Wolke (cloud), die virtuelle Community, sowie der Heilige Gral der „teledildonic“ (die sexuelle Erregung durch Computerspiele). Also schaute ich nach Italien auch wenn es einfach keine Texte auf Englisch oder Deutsch gibt. Ich wünschte mir, dass die Transmediale und die Ars Electronica ihre Aufmerksamkeit mehr auf die Denker, Künstler und Praktiker in Italien richten würden, denn die italienische Cyberspace-Reflexion ist philosophischer und stärker mit Kunst verbunden und bezieht sich enger auf soziale Probleme als andere Ansätze. Diese Weltsicht ist daran interessiert, Spiel, Kreativität, Freiheit, Vielfalt, Selbstverwaltung und Autonomie in das Alltagsleben (sprich: die Arbeit) der modernen Zivilisation zurückzuholen. Die Arbeit ist schließlich das Hauptproblem heutiger Gesellschaften (lassen wir das Problem der Bürokratisierung einmal beiseite – Karl Marx und Max Weber hatten recht). Wir versprachen uns vom Computer die Befreiung von der Arbeit, aber das passierte nicht. Im Gegenteil, heute haben wir mehr Arbeit als jemals zuvor, dank des Computers. Wie befreien wir uns also von der Sklaverei der Arbeit? Diese Frage interessiert mich. Doch Marxisten wissen nichts Interessantes über die Philosophie der Technik zu sagen. In ihren klassischen Texten über das Subjekt, wie bei Andrew Feenberg, lassen sie Heidegger außer Acht. Aber Heidegger liefert den Schlüssel für ein Umdenken hinsichtlich der emanzipatorischen Verwendung von Technologie.

AVINUS Press (Anabelle Assaf): 3. Wo liegt der gesellschaftliche Nutzen (die gesellschaftliche Relevanz) in einem Werk zur Schnittstelle zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit?

AVINUS Press (Anabelle Assaf): Wo begegnet sie uns vielleicht schon im Alltag, ohne dass wir sie wahrnehmen?

AVINUS Press (Anabelle Assaf): Wird die Künstlichkeit die Natürlichkeit irgendwann verdrängen?

Natürlichkeit ist ein Mythos. Sie ist ein kultureller Diskurs und das wird in Gattis Arbeit deutlich.

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