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Das Prinzip der Mimesis – Blickfeld Architektur, von Anne-Clara Stahl

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Das Prinzip der Mimesis – Blickfeld Architektur

Wir leben in einer Nachbildung von vergangener Realität. Nachbildung gleich Künstlichkeit? Doch wo fängt JETZT an und hört VORHER auf und ist nicht die Trennung die wahre Künstlichkeit? Das Gefühl von Zeit beherrscht die Theorie und damit auch die vom VORHER beeinflusste Realität.

„Unsere gesamte lineare und akkumulative Kultur bricht zusammen wenn sich die Vergangenheit nicht für alle sichtbar speichern lässt.“ Jean Baudrillard, Agonie des Realen S. 20

Würde damit nicht einhergehen, dass eine vollkommene Abwendung und Nichtbeachtung der Vergangenheit nicht funktionieren würde? Wir bewegen uns alltäglich in den Spuren der Vergangenheit. Das Gestern ist nicht präsent und dennoch Voraussetzung für das Heute.

Die Reproduktion des Gestern kann einen Zustand aufrecht erhalten der auf natürliche Weise bereits erblasst ist. Kann das funktionieren?

Eine Nachahmung umfasst eine Handlung mit der wir ein bestimmtes Ziel erreichen wollen. Die Nachahmung gibt uns eine Sicherheit etwas zu erzielen, da uns möglicherweise schon ein Fall bekannt ist, in der ein bestimmtes Handeln, eine bestimmte Tarnung etc. geglückt ist. Ich möchte im Laufe des Textes verschiedene Arten der Nachahmung versuchen zu ordnen. Die bereits angesprochene Nachahmung ist zeitbasiert. Sie erfolgt mit und durch eine Auseinandersetzung mit dem was bereits war und in der Gegenwart nicht mehr zugegen ist. Die Kopie dessen was schon gewesen ist. Ein Spiel der Zeit.

Hierzu ein Zitat aus „Rhizom“, Gilles Deleuze und Felix Guattari S. 23

„Die Kopie reproduziert nur sich selbst, wenn sie glaubt etwas anderes zu reproduzieren. Gerade deshalb ist sie so gefährlich.“

Und damit spricht Baudrillard schon einen wesentlichen Punkt in der Mimesis an. Es ist die Unabhängigkeit der Kopie gegenüber dem Original.

Um etwas zu erfassen, zu verstehen, brauchen wir möglicherweise einen vorangegangenen Lernprozess.

Mimesis bedeutet Nachahmung sowie auch das Lernen, Abschauen aber eben auch ein neu erfinden und neu denken. Wieso muss immer nur eine Neuerung eine positive und innovative Idee beinhalten. Wo doch bei vielen Dingen auf schon erprobte Zustände und Ideen zurückgegriffen werden kann.

Hierzu ein Zitat von Aristoteles in Poetik

„Denn der Nachahmungstrieb ist dem Menschen von Anfang an angeboren, und dadurch unterscheidet er sich von den übrigen lebenden Wesen, dass er am meisten Lust zur Nachahmung hat und dass er seine ersten Fertigkeiten durch Nachahmung erwirbt, und dann haben alle Menschen Freude an der Kunst der Nachahmung“.

Im Folgenden möchte ich diese Gedanken auf den Bereich der Gestaltung anwenden und mich auf den Bereich der Architektur konzentrieren.

Wir leben in einer uns umgebenden Natur sowie einer von uns Menschen ständig geschaffenen Umgebung.

Dazu zähle ich nun auch die Architektur. Architektur, die uns im ersten und ursprünglichen Sinne vor Gefahren und Kräften der Natur schützt.

Das Wiederbeleben von vergangener Formsprache in der Architektur ist gegenwärtig.

Genauso gibt es auch Formphänomene in der Natur die auf die Architektur angewandt und damit kopiert werden.

Hierzu ein Zitat von Karl Friedrich Schinkel

“Die Architektur ist die Fortsetzung der Natur in ihrer konstruktiven Tätigkeit.“

Erscheinungsformen mit besonderen Harmonien werden aus der Natur adaptiert und in eine Architektur übersetzt, die damit nur natürlichen Prinzipien folgt. Ein Zitat von Auguste Rodin,1921 hierzu

„Die Harmonie des lebenden Körpers entsteht durch das Gleichgewicht bewegter Massen. Die Kathedrale ist im Ebenbilde lebender Körper erbaut. Ihre Proportionen, ihre Gleichgewichtsbeziehungen entsprechen genau der Ordnung in der Natur, entspringen allgemeinen Gesetzen. Die großen Meister, die diese Wunder der Baukunst errichtet haben, beherrschten die gesamte Wissenschaft und verstanden sie zu nutzen, da sie, aus den natürlichen, ursprünglichen Kräften geschöpft, in ihnen lebendig geblieben war.“

Und damit spreche ich eine weitere Art der Nachahmung an. Die „körperliche“ Nachahmung.

Ein besonders nennenswertes Projekt im Bereich der Architektur in der heutigen Zeit ist das „Neue Museum“ von Chipperfield. Wie er mit dem Bestand und der Geschichte eines Gebäudes umgegangen ist und Spuren der Geschichte fast schon zelebriert finde ich unverkennbar. Chipperfield hierzu

„Wir wollten aber kein Gebäude herstellen, in dem nur Schäden und Fragmente zu sehen sind, sondern es als ganzes wieder erlebbar machen“.

Das Erlebbarmachen der Geschichte und damit eine Nachahmung eines Gebäudes zu einer anderen Zeit. Nämlich im Heute. Im Jetzt. Um damit etwas festzuhalten, zum Leben zu erwecken. Interessant ist dabei nicht die genaue Wiederherstellung des alten Zustandes sondern die Wiederherstellung eines Zwischenzustandes. Die Schäden in der Fassade, Risse, Einschüsse nicht zu verbergen, sondern sie zu konservieren. Die Zeit zu konservieren. Die sichtbaren Zeichen der Zeit. Eine Nachahmung einer Zeit kombiniert mit einer Neuinterpretation der Räume.

Nichts Altes wird neu geboren. Aber es verschwindet auch nicht ganz. Und das was einmal war kommt immer wieder in neuer Form. Alvar Aalto 2009

Ein anderes Beispiel zeigt sich in Korea. Das Mimesis Museum, entworfen von Alvaro Siza, in Form einer Katze. Nicht Plakativ. Eher verschwiegen.

Eine Bewegung in dem Gebäude lässt die grazile Erscheinung der Katze erahnen. Und dennoch gibt es den harten Kontrast der Materialwahl, des starken Betons. Hier ist die Frage, war es die Katze, die der Architekt Alvaro Siza darstellen wollte oder haben ihn nur bestimmte Attribute inspiriert, die er nun versucht nachzuahmen? Aber wie funktioniert das. Oder funktioniert das überhaupt?

Ein Lebewesen gleichzusetzen mit einer starren Architektur. Etwas nicht lebendigem. Einem Monument der Zeit. Denn Architektur ist ja auch Gedenkstein. Geschichte und Gedächtnis.

Ein weiteres Beispiel entdecke ich in dem Film über Paul Virilio, dem Denker der Geschwindigkeit. Mit dem Sakralbau Sainte Bernadette du Banlay in Nervers eröffnet sich eine andere Art der Mimesis. Die Faszination des Bunkers und dessen Raumgefühl bewegten Parent und Virilio dazu dies in einem Sakralbau zu übersetzen. Die Architekten spielen meiner Meinung nach mit einem Hauptaugenmerk des Gebäudes. Dem Raumgefühl. Die Kirche ist im gleichen Material und ähnlicher Formsprache wie die eines Bunkers gefertigt. Es entsteht eine eigentümliche Stimmung.

Dieses Beispiel finde ich aufgrund seines starken Kontrastes sehr interessant. Nicht nur die Funktion eines Gebäudes wird mit diesem Projekt in Frage gestellt sondern auch die Konnotation eines Sakralbaus und die eines Bunkers. Die Nachahmung kann also auch kontextungebunden erfolgen und damit eine Spannung und an manchen Stellen eine Ironie erzeugen. Vielleicht ist das bereits eine Charaktereigenschaft der Hyperrealität. Der Bezug zum Realen verliert an Bedeutung und die Selbstdarstellung des Objektes steht im Mittelpunkt.

Eine weitere Ebene der Mimesis ist die der Bildwiedergabe und Bildkopie. Über die Medien erhalten wir täglich Bilder von Architektur. Diese verhalten sich wiederum mimetisch zu der Wirklichkeit. Wir werden überflutet von Bildern – ein Schein der Realität. Bilder überlagern die Wirklichkeit und lassen sie sogar verschwinden.

So fängt es schon bei dem Entwurf und der Planung an. Wir erstellen Pläne, Karten und Zeichnungen, die das Bauprojekt darstellen. Diese wiederum enthalten mimetische Hintergründe in ihrer Formsprache. Zudem kommt die heutige meist computer-generierte Darstellung des Projekts als Schein. Die sinnliche Erfahrung eines Raumes wird dabei völlig außer Acht gelassen.

Die Darstellung von Natur, Licht…Es entsteht eine künstliche Wahrnehmung der Wirklichkeit. Es ist vielmehr eine Nachahmung der Wirklichkeit mit künstlichen Mitteln. Ein Bild, das eine Idee der Realität abbilden soll, ohne dabei jegliche Eigenschaft der Realität zu besitzen. Es werden Situationen kreiert, Menschen abbildhaft in die dargestellten Architekturen gesetzt, Stimmungen erzeugt. Diese Art der Darstellung löst bei den meisten Menschen eine Faszination aus. Nimmt ihnen aber auch eine erhebliche Lust und Fähigkeit der eigenen räumlichen Vorstellungskraft ab. Diese Imitation einer Wirklichkeit die noch nicht existiert erschafft Räume, in denen wir uns verlieren können, sie aber nie körperlich betreten werden.

Genauso wie diese Technik die Architekturdarstellung beeinflusst tut sie dies bereits im Entwurf. Formen und Konstruktionen, die mit der Maschine des Computers zu neuen Figuren werden. Hier stellt sich die Frage, ob die daraus entstehende Architektur nur der Technik folgt oder aber auf ästhetischen Aussagen und Entscheidungen beruht.

Zurück zu meinen Anfangsgedanken, der zeitbezogenen Mimesis. Im Bezug darauf finde ich einen Dialog zwischen Jean Baudrillard und Jean Nouvel spannend. In dem Aufsatz „Einzigartige Objekte – Architektur und Philosophie“ S. 75 interessieren mich folgende Gedanken.

„Es ist eine Form der Reproduktion, der Duplikation, diese Architekten halten immer an den Formen des Vergangenen fest, verzweifelt, da sie sehen, wie sich die Stadt zu den Bedingungen bewegt, die nicht jene sind, die sie bewundert haben, jene die sie letzten Endes betonen wollten.“ Jean Nouvel

Dazu noch einmal Baudrillard S.113

“Eine Angelegenheit, mit der sich die Architektur heutzutage beschäftigt, ist, sich zu sagen, dass sich keine Architektur mehr machen lässt, ohne vor sich die Idee der Architektur zu haben….“Das ist dann der Punkt, wo ich sage:“ Lasst uns nicht zu viel denken“! Wenn du ein architektonisches Projekt im Kopf hast, die ver- schiedenen Gegebenheiten des Raumes, der Geschichte, der Umgebung, die Elemente des Projektes, die Ziele, die Finalität, dann wird dir das vielleicht alles an einem bestimmten Moment erlauben sich zu einem verwirrenden Objekt gelangen zu lassen, das wirklich etwas anderes wäre, als das ursprüngliche Projekt. Aber wenn du zu viel planst, wenn die Konzeptualisierung zu dicht ist, verkümmert die Ader und ich glaube, dass das auch für den Bereich der theoretischen Forschung zutrifft, diejenigen, die alles anhäufen worauf man sich beziehen kann, die Daten multiplizieren, eine Bahn bis ins Unendliche darlegen erschöpfen sich, bevor sie etwas gesagt haben? Nichts.“

Architektur bestimmt durch die Tradition der Vergangenheit?

Die Zukunft der Architektur betreffend und damit auch eine Reproduktion der Architektur äußert Nouvel folgende Gedanken

“Man kann Analogien erstellen, man kann sich das Klonen von genetisch programmierten Gebäuden vorstel- len, es ist viel einfacher für die Gebäude als für die Menschen. Es ist eine Art von neuem Superfunktionalis mus. Es ist nicht mehr der Funktionalismus der alten organischen und sozialen Funktionen, der Gebrauchs- werte, etc. es handelt sich um etwas anderes…“

Die Vervielfältigung eines Gebäudes im Sinne eines Baukastensystems ist bereits vorhanden. Gerade in der nach dem ersten Weltkrieg entstehenden Bewegung der modernen Architektur finden wir Beispiele und Ursprünge dieser Gedanken in Deutschland. Die Idee des Funktionalismus und die damit einhergehende Strömungen waren sicher ein bedeutender Wegbereiter für diese Visionen.

Begriffe wie formale Einfachheit und Zweckhaftigkeit bereiten der Architektur und vor allem der Reproduktion einen neuen Weg.

Corbusier schrieb dazu Mitte der zwanziger Jahre

„Die Serie beherrscht alles. Wir können nicht mehr zu normalen Preisen fabrizieren außerhalb der Serie“.

Mit dem Entwurf des Hauses „Dom-ino“ erschuf Corbusier eine Grundlage für industriell gefertigte Häuser und berief sich dabei auf die äußerste Reduktion des Hauses auf Decken, Böden, Stützen.

Denn auch die serielle Reproduktion eines Objektes folgt in gewisser Weise der Methode der Nachahmung.

Mimesis in all ihren Formen. Sie bedient sich der Realität, schafft zugleich eine Kopie wie auch ein Unikat, erzeugt Virtualität, findet in sich selbst neue Formen, erschafft Spannung, erzeugt Diskurs.

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