Alan N. Shapiro, Hypermodernism, Hyperreality, Posthumanism

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Baudrillard und Trek-nologie, von Alan N. Shapiro

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Beginnen wir mit dem Ende der sechziger Jahre in New York, dem Ort meiner Kindheit. Als guter Jude sollte ich eine jüdische Erziehung bekommen. Stattdessen liebte ich Star Trek. Alles, was ich weiß, habe ich von Star Trek gelernt. Unter anderem auch, die Naturwissenschaften zu lieben. Das machte mich zu einem guten Amerikaner. Als solcher ging ich auf eine Eliteuniversität für Technologie. Dort missfiel mir allerdings die Komplizenschaft der Wissenschaften mit dem Vietnamkrieg. Deshalb brach ich mein Studium ab. Ich war ein radikaler Denker geworden. Als solcher ging ich auf eine Eliteuniversität für Geisteswissenschaften. Aber die amerikanischen radikalen Denker waren allesamt Marxisten. Dann las ich Jean Baudrillards Buch Le Miroir de la production und begriff, dass Marx nicht radikal genug war. Alles, was ich weiß, habe ich von Baudrillard gelernt. Später versuchte ich, einen Kompromiss zwischen den Natur- und Gesiteswissenschaften zu praktizieren, genannt Soziologie. Dann las ich Baudrillards Buch Im Schatten der schweigenden Mehrheiten, worin er sagt, dass die Soziologen, genau wie die Marketingmanager und Politiker, die Massen sozialisieren wollen. Aber die Massen widersetzen sich, indem sie verstummen und “sich tot stellen”. Sie verschwinden in Überkonsum und Fandom.

Heute ist der Akt des Verschwindens die technologische Kultur, oder genauer: Star Trek. Star Trek is die verbreiteste “Ikone” der technologischen Kultur. Zu den größten Fans gehören Physiker, Ingenieure, Informatiker, Grafikkünstler und Medienschaffende. Doch die ursprüngliche Kreativät von Star Trek wird von der Star Trek-Industrie neutralisiert. Sie programmiert ein automatisches System von endlosen simulierten Unterschieden und verhindert so, dass die Zuschauer sich je mit einem wahren Anderen konfrontieren können. Deswegen lese ich Star Trek gegen Star Trek. Durch Verdoppelung und Dezentrierung projiziere ich Baudrillards Denksystem parodistisch auf Star Trek. Denn zwischen Baudrillard und Star Trek gibt es auf zwei Ebenen eine unheimliche Ähnlichkeit. Erstens: Es besteht eine genaue Übereinstimmung zwischen Baudrillards Schlüsselwörten und den Prinzipien der Episoden der Star Trek-Originalserie; radikale Ungewissenheit, die Anerkennung der Andersheit, technische Unfälle und Überraschungen, symbolischer Tausch, die duale Beziehung. Und zweitens: Es gibt eine pataphysische Sciencefiction-Technologie – in Form des Transporters, der Warpgeschwindigkeit, der Zeitreisen, des Holodecks. Diese “Trek-nologie” wird aus der quantenphysikalischen Unbestimmtheit und der chaostheoretischen Komplexität entwickelt. Wenn wir an beiden Enden – Star Trek als Literatur und Star Trek als clevere Technologie – Druck ausüben, ergibt sich eine Doppelstrategie, die darin besteht, ein wenig Reales der “Kritischen Theorie” hinzuzufügen und nur in der futuristischen Sprache der “Fatalen Theorie” zu sprechen.

Folgen Sie mir jetzt in die unendlichen Weiten des Weltraums. Betrachen wir einige Star Trek-Episoden und Technologien etwas näher und beginnen wir mit der virtuellen Realität.

Das Holodeck ist das bekannteste System virtueller Realität, kreiert in den 1990er Jahren für die Serie Star Trek: The Next Generation. Allerdings verwirklicht diese Post-Fersehtechnologie nur die totale visuelle Information und führt zum Ende der ästhetischen Illusion. Im Gegensatz dazu verkörpert die virtuelle Realität in den ursprünglichen Star Trek-Episoden der sechziger Jahre künstlerisch Baudrillards Prinzipien der radikalen Ungewissheit, der vitalen Illusion und der überraschenden Technologie.

In der Episode Landeurlaub finden sich Captain Kirk und Dr. McCoy durch einen Zufall im System der virtuellen Realität des Vergnügungsplaneten wieder, den sie aber nicht als solchen erkennen. Sie begegnen mysteriösen, bezaubernden, wesenhaften Erscheinungen aus ihren Tagträumen, die mit der Spannung zwischen Realem und Imaginärem spielen. Zu Beginn der Episo­de leitet McCoy ein Außenteam, das einen Planeten ohne erkennbare Lebensformen auskundschaftet. Als er einen Moment lang allein ist, erscheint ein einen Meter großes weißes Kaninchen, das sofort wieder in einem tiefen Erdloch verschwindet. Verblüfft zeigt der Doktor auf das Loch, als Alice im Wunderland plötzlich auftaucht und nach dem Kaninchen fragt. Zur gleichen Zeit sieht Kirk einen ehemaligen Schulkameraden namens Finnegan, mit dem er noch eine Rechnung offen hat. Kirk läuft hinter Finnegan her. Als er ihn endlich einholt, wird Ihm klar, dass er kelne Ahnung hat, wie Finnegan hierher verschlagen wurde. Logbuch des Captains, Sternzeit 3025,8: „Wir sehen Dinge, die unmöglich existieren können, und doch sind sie unabstreitbar real.”

Die Episode Krieg der Computer bildet eine perfekte Parallele zu Baudrillards These in La guerre du Golfe n’a pas eu lieu. Er schreibt, dass „wlr uns nicht mehr in einer aristotellschen Logik des Übergangs vom Virtuellen zum Tatsächlichen befinden, sondern in einer hyperrealen Logik der Abschreckung des Realen durch das Virtuelle.”

Anan-Sieben von der Planetaren Kontrolldivision spricht gerade mit Captain Kirk, als er von einer Fliegeralarmsirene unterbrochen wird: „Vendikar greift an.” Eine Wand des Ratssaals gleitet beiseite und gibt den Blick auf ein Kommandozentrum frei. Anan erklärt Kirk, dass der ruchlose Feind gerade ein grausiges Massaker angerichtet hat. Es gab eine halbe Million Tote. Trotzdem zeigt Corporal Tamuras Tricorder-Scan kelne Explosionen oder Strahlungsstörungen auf dem Planeten an: Der Krieg der Welten wird ausschließlich als Computerslmulatlon geführt. Wenn das Cyberkrieg-Programm ermittelt hat, welche Einwohner bei einer bestimmten virtuellen Explosion getötet wurden, werden „Todesfälle registriert”. Die designierten Opfer haben vierundzwanzig Stunden Zeit, sich in einer Desintegrationsmaschine einzufinden.

Wie in Amerikas Kriegen sind all jene, die tatsächlich sterben, Datenmüll, der von dem Videokriegsspiel ausgespuckt wird. Diese Schatten-Menschen sorgen für die notwendige Dosis Realitätseffekt. Die hyperreale Simulation des Krieges ist vor allem eine Methode, mit der Staaten und institutionelle Eliten Westens Ihre eigenen Bürger beherrschen. Sie ist in das Machtsystem der virtuellen Räume der Medien eingebettet. Amerika ist eine simulakrale Macht, die sich im Simulakrum des Kriegszustands befindet. Als Feind benutzt es den Anderen, das zweckmäßige Alibi fur ihr perfektes Verbrechen.

Um „nach Baudrillard” ein radikales „nach der Sozlologie” praktizieren, müssen wir Kritische Theorie und Fatale Theorie zusammenbringen. Der australische Kunsthistoriker Rex Butler erklärt in seinem unverzichtbaren Buch Jean Baudrillard: The Defence of the Real, dass wir eine Schreibweise über das System, mit dem wir uns jeweils beschäftigen wollen, erfinden müssen. Diese Schreibweise folgt der inneren Logik des Systems bis zum Ende, fügt ihr nichts hinzu und kehrt sie doch vollkommen um. Diese Écriture ist für jedes System, das wir untersuchen, absolut spezifisch. Im Falle von Star Trek müssen wir Star Trek als Literatur und Star Trek als Technologie, die sich uns widersetzt, vereinen. Im Folgenden werde ich darlegen, diese beiden Analysen im Kontext der bekanntesten Trek-nologie: dem Transporter – dem Beamen („Beam me up, Scotty“) zusammenkommen. Doch bevor ich mich ausführlich den Implikationen des Beamens zuwende, möchte ich kurz auf zwei andere bekannte Trek-nologien zu sprechen kommen: Zeitreisen und Warpgeschwindigkeit. Letzteres ist das Star Trek-Synonym für Überlichtgeschwindigkelt.

Ein großer Teil der Forschung in der theoretischen Physik zielt darauf ab, die wissenschaftlichen Voraussetzungen für Zeitreisen zu ermitteln. Nach der Definition von Alfred Jarry, den Baudrillard oft wohlwollend zitiert, handelt es sich bei der Pataphysik um die peinlich genaue Ausarbeitung imaginärer wissenschaftlicher Lösungen, die überzeugend dargelegt werden. „Exotische Theorien” über die Möglichkeit von Zeitreisen werden leidenschaftlich in seriösen Physikzeitschriften debattiert.

In den 1980er Jahren stieg das Interesse am normalen, nicht rotierenden Schwarzen Lochs und an der rotierenden Variante massiv an. Der Mathematiker Roy Kerr stellte die Behauptung auf, dass die Singularität eines Schwarzen Lochs nicht zwangsläufig zu einem Punkt mit starker Gravitation und unendlicher Dichte implodieren muss. Wenn die Singularität aus einem rotierenden Stern entstünde, könnte sie zu einem rotierenden Neutronenring werden. Dieser Zustand würde es einem Raumfahrer ermöglichen, mit technischer Hilfe in den Ring das Wurmloch einzutreten. Der Reisende könnte an einem weit entfernten Ort im Raum, in einem anderen Jahrtausend oder einem Paralleluniversum herauskommen. Spekulationen über Zeitreisen verbreiteten sich anfangs sehr zum Missfallen der meisten ernsthaften theoretischen Physiker. Kip Thorne vom California Institute of Technology, ein führender Experte in Sachen allgemeine Relativitätstheorie, begann über Schwarze Löcher zu forschen – mit dem Ziel, all die unsinnigen Vorstellungen über Zeitreisen zu widerlegen. Heute ist Thorne einer der führenden Befürworter der Zeitreisen-Pataphysik.

1994 veröffentlichte der Physiker Miguel Alcubierre Moya eine Arbeit über allgemeine Relativität und Warpgeschwindigkeit, die die Prinzipien des Alcubierre-Warpantriebs erklärt. Dieser Beitrag eröffnete einen neuen Zweig der Physik: die Warpantriebs-Theorie. Alcubierres Entwurf für interstellare Reisen erfordert eine Manipulation der Raumzeit vor und hinter dem Raumschiff. Die Arbeit wurde als Meilenstein begrüßt, der den Warpantrieb von etwas rein Fiktionalem in ein echtes wissenschaftliches Thema verwandelte. Alcubierres Konzept verletzt keine bekannten Gesetze der Physik. Es liefert eine mathematische Beschreibung der Raumkrümmung, die es erlauben würde, in einer zu vernachlässigenden Zeitspanne die Strecke zwischen zwei Lichtjahre voneinander entfernten Punkten zurückzulegen. 1996 richtete die NASA das Breakthrough Propulsion Physics Project ein, um die Möglichkeit des Warpantriebs zu untersuchen.

In der Episode The Enemy Within stehen Captain Kirk, Leutnant Sulu, Techniker Fisher und weltere Besatzungsmitglieder der Enterprise kurz vor Abschluss eines geologischen Vermessungsauftrags auf dem Planeten Alfa 117. Nahe dem provisorischen Lager des Landetrupps stürzt Fisher auf ein Feld aus magnetischem Erz und schneidet sich die Hand auf. Wir sehen, dass seine Kleidung mit gelben Flecken übersat ist. Kirk befiehlt Fisher, sich wieder an Bord beamen zu lassen. Leutnant Commander Scott und Transportertechniker Wilson stehen an der Bedienungskonsole des Transporterraums der Enterprise, als eine rote Warnlampe blinkt. Es gibt Probleme bei Fishers Rematerialisierung. Scotty befiehlt Wilson, die aufgetretene Dopplerwellen-Frequenzverschiebung auszugleichen.

Als nächstes will Kirk sich an Bord beamen lassen, aber Scotty ist nicht davon überzeugt, dass es gefahrlos funktioniert. Trotzdem leitet der Chefingenieur den Transportvorgang ein. Kirk erscheint auf einer der runden Platten des Transporterraums. Der Captain wirkt geschwächt. Er grelft sich mit der linken Hand an die Stirn und taumelt von der erhöhten Plattform. Scotty hilft dem sichtlich erschütterten Kirk in den Korridor hinaus und lässt den Raum unbewacht zurück.

Eine menschliche Gestalt, leicht geduckt, erscheint mit dem Rücken zu uns auf derselben Plattform, auf der Kirk wenige Augenblicke zuvor erschienen war. Der Mann wendet sich um, und wir erkennen einen zweiten, wilder aussehenden Kirk, dessen Blick unheilvoll hin und her schießt. Er sieht aus wie ein tollwütiges Tier, das gerade aus dem Käfig gelassen wurde.

Der verdoppelte Kirk geht zu den Transporterkontrollen und berührt lustvoll die Technik, die ihn unbeabsichtigt ins Leben gerufen hat. Er bedenkt die Vorrichtung, mit der seine Existenz aufs Engste verknüpft ist, mit einem anzüglichen Lächeln. Sein Blick richtet sich voll Verlangen auf die Phasenumwandlungsspulen. Seine Finger gleiten zärtlich über den Molekularbild-Scanner und die manuelle Ablaufsteuerung. Ein lüsterner Ausdruck prägt seine Gesichtszüge.

Der Fernsehlegende zufolge hat Star Trek-Schöpfer Gene Roddenberry den Transporter eingefüjhrt, um Geld zu sparen. Die Kosten, um die Enterprise auf einem Planeten landen und wieder starten zu lassen, wären nicht tragbar gewesen. Aber in The Enemy Within wird über den Transporter eine tief empfundene Angst bezüglich der dieser Technik innewohnenden Unfallgefahr zum Ausdruck gebracht. Der böse Kirk ist der intrinsische Unfall, der den futuristischen technologischen Wissenschaften notwendig zugehört.

Aber wie funktioniert der Transporter „wlrklich”? Im Laufe der Jahrzehnte haben die Erklärungen zu dieser Frage paradigmatische Verschiebungen durchlaufen. Die ursprüngliche Idee war ein physischer Transporter: Dematerialisierung-Rematerialisierung, die Um- und Rückverwandlung von Materie in Energie. Dem folgte der Informationsbasierte digitale Transporter. Schließlich kamen die „verschränkten Photonen” des Quantenteleporters, der von Physikern bereits für Lichtteilchen und, wie neulich in den Nachrichten berichtet wurde, für Atome verwirklicht wurde.

In den 1990er Jahren haben theoretische Physiker wie Stephen Hawking und Lawrence Krauss behauptet, dass der physische Transporter aufgrund physikalischer Gesetze und praktischer Überlegungen nicht funktionieren kann. In dem Buch Die Physik von Star Trek fragt sich Krauss: Wie könnte das Heisenberg’sche Unschärfeprinzip überwunden werden? Der physische Transporter würde sich mit der Unmöglichkeit der präzisen Vermessung der subatomaren Bestandteile jedes Objekts auseinander setzen müssen.

Vom Zeitgeist der Informationsgesellschaft inspiriert, schlug Krauss einen Transporter des „digitalen Seins” vor. Dieser Apparat konstruiert die neue Inkarnation der Person, indem sie den digitalisierten Bauplan ihrer Informationsbits mit einem verfügbaren Vorrat formbarer Rohmaterie kombiniert, um auf diese Weise „so viele Kopien eines Individuums zu erzeugen, wie man will. Dieses Konzept exemplifiziert die in der technologischen Kultur verbreitete Annahme, dass die Definition eines Lebewesens im verschlüsselten Rezept seiner biogenetischen Sequenz zu finden ist.

Roddenberrys  modernistische  Idee  eines physischen Transporters implizierte keine Bedrohung der vorherrschenden Vorstellung von Subjektivität. Sein Konzept der Übermittlung des Matierestroms einer Person in einem Begrenzungsstrahl erinnert an den traditionellen Ort-zu-Ort-Transport eines unbeschädigten körperlichen Selbst. Der postmoderne Digitaltransporter und der hypermoderne Quantenteleporter weisen auf einen Paradigmen-wechhsel in der Definition des Mensch-Seins hin. Hier wird eingeräumt, dass eine Kopie von mir, erschaffen aus dem Informationsmuster des gieichen Modells oder aus einer quantenmechanischen Kopplung, mit mir selbst identisch ist. Die Obsession der technologischen Kultur, das Beamen wissenschaftlich möglich zu machen, ist ein Hinweis darauf, dass sich derzeit etwas Grundlegendes an der menschlichen Existenz beziehungsweise dem Verhältnis zur Sterblichkeit verändert. So muss beim Beamen der Tod des ursprünglichen Subjekts ein einziges Mal in Kauf genommen werden, wenn mein Anfangs-Klon hergestellt wird. Dieser Tod wird als der kleine Preis rationalisiert werden, den man entrichten muss, um eine generalisierte kybernetische Prothese zu erhalten. Und wer wird nicht in die kleine Unannehmlichkeit des eigenen Todes einwilligen, wer wird nicht dazu bereit sein, die unbedeutende philosophische Formfrage “Wer ist wirklich ich?” zu vernachlässigen, wenn der Nutzen darin besteht, in einem Augenblick von Paris nach New York reisen zu können?

Aber das ist nicht die Sicht der Dinge, die in The Enemy Within vertreten wird. Star Trek als Literatur verhält sich auf komplexe Weise ambivalent gegenüber den vorausgesetzten Annahmen und Werten der technologischen Kultur.

Quantenphysiker bei IBM und der Innsbrucker Universität haben die Technologie der Quantenverschränkung experimentell verwirklicht. Hierbei werden zwei subatomare Teilchen untrennbar miteinander gekoppelt. Das führt dazu, dass eine Veränderung an einem der Teilchen unmittelbar von seinem Gegenstück mitvollzogen wird – egal, wie weit die beiden physisch voneinander entfernt sind. Eines der Zwillings-Lichtteilchen wird mit Lichtgeschwindigkeit an einen weit entfernten Ort geschickt, während sein Gegenstück am Ursprungsort verbleibt.

Das Unschärfeprinzip macht es unmöglich, brauchbare direkte Messergebnisse der Eigenschaften eines isolierten Photons zu gewinnen. Eine geniale Methode, sich um dieses Problem herumzudrücken, besteht darin, gleichzeitig ein drittes Photon in Verbindung mit dem zurückgebliebenen Teil des verschränkten Paares zu messen. Das entfernte Zwillingsteilchen, das am anderen Ende des Sonnensystems in einer Ankunftskammer wartet, nimmt sofort die Eigenschaften des dritten Photons an.

Die Quantenverschränkung ist aber mehr als nur die ferngesteuerte  Verdoppelung der Quanteneigenschaften eines Mikroteilchens. Es handelt sich vielmehr um echte Teleportation, denn, wie der Physiker Anton Zeilinger erklärt: „Teilchen desselben Typs im selben Quantenzustand sind sogar prinzipiell ununterscheidbar.” Ein Photon ist nichts anderes als sein eigener Quantenzustand. Sein Zustand ist seine Identität. Darüber hinaus gibt es nichts, was über das Photon objektiv als wahr ausgesagt werden kann.

Sollen wir es nach der Quantenphysik hinnehmen, dass „man wissen muss, was man wissen kann?” Sollen wir Technologien realisieren, deren „nihilistische” Auswahlkriterien nur auf Sehnsüchten der Sciencefiction-Kultur basieren? Oder sollen bescheiden sein angesichts der unfassbaren Illusion der Welt, und anerkennen, dass die „reale Welt” durch einzelne Quanteneffekte, die erscheinen und verschwinden, ersetzt wird?

Das teleportierende Photon an der Sendestation wird zerstört. Es verliert seinen Zustand. Seine Information verschwindet. Nur das teleportierte Photon an der Empfängerstation existiert weiter, in seinen Eigenschaften und seiner Substanz identisch mit dem Original. Die Technologie des Soforttransports ist verwirklicht, und bald wird sie für den Einsatz mit Molekülen, Aktentaschen, Laborratten und Posthumanen verfeinert werden.

Scotty hat hart gearbeitet, um die Funktionstauglichkeit des Transporters zu überprüfen. Der Katalysator für die Fehlfunktion war wahrscheinlich das weiche, gelbe Erz auf Fishers Overall, das „unbekannte magnetische Elemente” enthält.

Die Chaostheorie weist darauf hin, dass ein System wie der Transporter wunderbar funktioniert, solange seine stark begrenzte Konzeption als kontrolllerbares, abgeschlossenes System von äußeren Faktoren abgeschirmt wird. Sobald eine „nicht berücksichtigte” Variable ins Spiel kommt, wird ein immanenter Unfall provoziert. Sie mischt die Ausgangsbedingungen des komplexen Systems neu und löst eine Reverslbilität der Effekte aus.

Als sich die beiden Kirks in The Enemy Within erstmals von Angesicht zu Angesicht gegenüber treten, bedroht der böse Kirk den schwachen Kirk mit einem Phaser. „Willst du mich töten? Das kannst du nicht.”, sagt der erste Kirk. „lch bin ein Tell von dir. Du gehörst zu mir und ich gehöre zu dir.”

Kirk 2 ist Kirks innerer radikaler Anderer. Er erinnert an die biografischen Unwägbarkeiten die uns menschlich machen. The Enemy Within ist eine klassische Geschichte über nützliche Entfremdung. Sie stellt die Unentbehrlichkeit des Schattens dar, und die des bösen Zwillings der radikalen Alterität, der dem gesunden Standort des Seins gegenübersteht. Das symbolische Double und das Bewusstsein des Todes bilden eine Überlebens-zone für die menschliche Existenz, wo sie der Reduzierung auf Ihre vorherbestimmte Zukunft oder der redundanten Gleichheit mit einer Serie von Klonen widerstehen kann. Der technologische Mainstream beschleunigt den Niedergang des Künstlerischen als Übungsfeld, auf dem wir lehrreiche Doubles finden.

Technologie hat außerdem noch eine nachgeordnete Dimension, die in The Enemy Within verführerisch ausgespielt wird. Wir erhaschen einen Blick auf diese Dimension des sich widersetzenden Objekts, als Kirk 2 von der Transporterplattform tritt und die Kontrollkonsole in einer verstohlenen Zusammenkunft erotisch umarmt.

Der böse Kirk ist mehr als ein Unfall im Sinne der Kontingenz. Er ist die Technologie. Er ist die clevere Rache für das Projekt der Simplifizierung der Welt. Technologie ist das Reich der radikalen Illusion der Welt, wo das Gerät sich seinen Herren entzieht und seine Schlauheit gegen die oberflächlichen Überzeugungen seiner Erfinder wendet, die sich eine willfährige, von ihren Techniken beherrschte Welt wünschen.

Vom Standpunkt des guten Kirk hat der Transporter mit seiner Fehlfunktion das Negative zugunsten des Positiven augespien. Der Transporter versucht, das Böse auszutreiben. Die vollkommene und purifizierte Information, die für das Cleanroom-System verfügbar sein muss, um ein neues „Ich” zu instanziieren, darf nicht von seltsamen Attraktoren verunreinigt sein.

Zuerst glaubt Spock, dass der schwache Kirk der echte Kirk sei und der böse Kirk ein Betrüger, ein Imposteur. Aber der Wissenschaftsoffizier begreift schnell, dass der böse Kirk etwas Bedeutsameres als eine Fälschung ist, und dass auch der schwache Kirk nicht der „echte Kirk” ist. Als immer deutlicher wird, dass dem schwachen Kirk die modernistische Fähigkeit sorgfältig überdachten, von Kontextwissen geleiteten Handelns fehlt, versucht Dr. McCoy Kirk 1 zu der Einsicht zu bringen, dass Kirk 2 in Wirklichkeit das „Böse” in ihm selbst ist, ohne das er nicht leben kann. „Wir haben alle unsere dunklen Seiten. Sie gehören zu unserem Wesen. Das ist nicht böse, das ist menschlich.” McCoy setzt dem Prinzip des Guten, das in Wirklichkeit das Prinzip der Trennung von Gut und Böse ist, das Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit von Gut und Böse entgegen.

Der notwendige Unfall des doppelten Kirks wirft ein kritisches Licht auf die Essenz, das Punktum des Transporters: Es handelt sich dabei um die absolutistische Phantasmagorie volkommenen Wissens über eine Person, eingefangen in einem digitalen Musterbild oder in einer quantenphysikalischen Momentaufnahme ihrer subatomaren Teilchen. Es ist der Traum von einem anhand seines Informationsgehalts vollständig verstehbaren menschlichen Wesen, identisch mit sich selbst, das eine vollständig ermittelbare Existenz durchlebt.

Scotty hat sich bei der Reparatur des Transporters beholfen, indem er  Überbrückungsschaltkreise benutzt hat, die mit dem Impulsantrieb verdrahtet sind. Der schwache Kirk hält seien teilnahmslosen Doppelgänger aufrecht im Arm, scheinbar liebevoll, bereit für die Aktivierung des Transporters. Spock zieht die Schieberegler herunter. Anhaltende Stille. Er zieht die Schieberegler wieder hoch. Ein Kirk erscheint auf der Plattform. Wir sehen McCoys angespannten Gesichtsausdruck, dann Spocks gleichermaßen angestrengte Miene. „Jim?”, fragt MeCoy zögerlich.

Übersetzung von Jakob Schmidt, Helga Augustin und Alan N. Shapiro.

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